Die Edda Anmerkungen (Simrock 1876)

7. Harbardslied.

Die bisher betrachteten Lieder gehörten eigentlich alle dem Mythus von Odhin an, zu dem im weitern Sinne auch der von Baldur gerechnet wird, da von diesem Gotte nichts als sein Tod bekannt ist, den zu verhindern sich Odhin vergebens bemüht. Dem Mythus von Odhin steht aber der von Thor gegenüber, welchem die vier folgenden Lieder gelten. Beide Kreise verbindet nun das gegenwärtige Gedicht, das keinen andern Gegenstand hat als das Wesen beider Götter durch den Gegensatz anschaulich zu machen. Diesen Gegensatz spricht Uhland Mythus des Thor 21 in folgenden Worten aus: „Odhin das Haupt der Asen, der auch dem Namen nach der Gott des lebendigen Geistes ist, durchforscht rastlos die Welt und stärkt die Sache der Götter, indem er überall geistiges Leben weckt und den irdischen Heldengeist zu höherm Berufe, zur künftigen Theilnahme an gem großen Götterkampf in seine himmlische Halle heranzieht. Dagegen ist Thor, Odhins kräftigster Sohn, vorzugsweise Beschirmer der Erde, deren Anbau er begründet, deren Fruchtbarkeit und Freundlichkeit er zum Besten ihrer Bewohner unermüdlich fördert und schützt, und darum mit den wilden Elementargewalten in beständigem Kampfe liegt.“ Wie dieser ihrer Natur zufolge beide Götter einander feindlich gegenüber treten können, indem Odhin, der Beleber alles Geistes, insbesondere den kriegerischen Geist anregt, welcher den Thors Obhut vertrauten Anbau wieder vernichtet, dieß soll unser Lied veranschaulichen, dessen Thema Uhland demnach mit den Worten ausspricht: „der Segen des Landbaus, verdrängt durch zerstörende Kriegsgewalt.“ Dieser Gegensatz, sagt er S. 93, ist gleichwohl kein innerer Widerspruch der nordischen Glaubenslehre, keine Spaltung religiöser Ansichten, er zeigt nur den nothwendigen äußern Zusammenstoß der verschiedenen, je unter Obhut eines dieser Götter gestellten Richtungen und Zustände des irdischen Daseins.

Da Uhland unser Lied einer vollständigen und genügenden Erläuterung gewürdigt hat, auf die wir verweisen können wie jetzt auch auf den Aufsatz von Lilienkrons (Zeitschr. X. 180 ff.), so beschränken wir uns auf wenige Bemerkungen, deren Zweck kein anderer sein kann, als den angedeuteten Grundgedanken noch stärker hervorzuheben. Wenn wir uns auch dabei zuweilen der Worte Uhlands bedienen, so geschieht es nicht ohne sie als sein Eigenthum anzudeuten.

Odhin bleibt, „damit der äußerliche Zwiespalt im Wesen beider Götter nicht in ihr Leben selbst eingreife,“ unter Namen und Gestalt des Fergen Harbard verhüllt. Diesen Namen kennen wir schon aus Grimnismal als einen der Beinamen Odhins, er möge nun den Heerschild bedeuten oder wie andere Namen Odhins seinen dichten Haar- und Bartwuchs bezeichnen. Alles was von Harbard ausgesagt wird, zeigt uns Odhin, „wie er überall in der nordischen Heldensage umgeht.“ Daß er, der stäts in menschlicher Verkleidung erscheint, dießmal die Gestalt eines Fährmanns angenommen hat, schließt sich daran, daß hier die Verschiedenheit im Wesen beider Asen durch einen Sund veranschaulicht wird, der ihre Gebiete trennt, wie in Wafthr.-Mal 16 der Fluß Ifing oder Ilfing die der Riesen und Götter. Der Fährmann steht aber im Dienste Hildolfs, dessen Name zunächst den furchtbaren dämonischen Kriegsmann bedeutet, hier wohl den Krieg selbst mit seinen Schrecken.

Thor bietet dem Fährmann, daß er ihn herüberhole, statt goldener Spangen wie Hagen dem Donaufergen, die Überbleibsel seines letzten ländlichen Mals, dessen Kärglichkeit zu seinem ärmlichen Aufzug stimmt, um dessentwillen Harbard spottet, er sehe nicht aus wie Einer, der drei gute Höfe besitze. Soll diese Armut bedeuten, daß der Landbau wohl seinen Mann nähre, aber nicht reich mache, oder ist sie schon die Wirkung des verheerenden Kriegs? Uhland erklärt sie daraus, daß Thor von Osten, d. h. aus dem Winter komme, „denn um diese Zeit gehen die Wintervorräthe zu Ende, die ihn bisher satt erhalten.“

Die verweigerte Überfahrt veranlaßt einen Wortwechsel, „in dem Jeder seine Thaten hervorhebt und die des Andern verkleinert.“ Unter denen Thors wird seiner Kämpfe mit Hrungnir und Thiassi (D. 59. 56), des Abenteuers mit Skrymir, wo er sich im Handschuh des Riesen verbarg (D. 45), gedacht sowie zweier andern (Str. 29 und 37), von denen sich sonst keine Meldungen finden. Der Zweck dieser Kämpfe mit den Riesen wird Str. 23 dadurch angedeutet, daß es mit den Menschen in Midgard zu Ende wäre, wenn die Riesen Überhand nähmen. Die Erde wohnlich zu machen bezwingt Thor die dämonischen Naturgewalten, die sich ihrem Anbau widersetzen. In diesem Sinne hat Uhland jene bekannten, in der j. Edda ausführlich erzählten Thaten Thors, auf die hier nur angespielt wird, gedeutet, und den nur hier erwähnten weist er den gleichen Inhalt nach. Swarangs Söhne, des Ängstigers (29), „die nach Thor, dem Gotte des Anbaus, mit Steinen werfen, bedeuten den Hagel, der aus schwerdrohender Wetterwolke fährt; sie stürmen in Mehrzahl an, weil die Schloßen wie von vielen Händen zugleich geworfen werden. Thor aber wehrt ihnen siegreich den Übergang in sein bebautes Gebiet, denn obgleich selbst Herr des Donners kämpft er doch auch gegen die verheerende Macht des Gewitters, wie gegen jede jötunische Gewalt, schirmend an. Weiter hat Thor (37 ff.) auf Hlesey Berserkbräute geschlagen, Wölfinnen mehr denn Weiber, die alles Volk betrogen, die sein Schiff losgewunden, das er auf Stützen gebracht hatte, die ihn mit dem Eisenknüppel bedroht und Thialfi vertrieben haben. Auf Hlesey, mag damit Meereiland überhaupt, oder die Insel Läsö besonders gemeint sein, hat Thor sein Schiff an den Strand gezogen und auf Pfähle gesetzt: er hat den Anbau nach dieser Insel gebracht. Darum ist auch Thialfi bei ihm, derselbe, der auch nach Gotland das erste Feuer geführt. Aber Berserkbräute, wilde Riesenweiber, bekriegen und beschädigen hier das Volk, wüthende Sturmfluten verheeren das ihnen wieder allzusehr ausgesetzte, vergeblich angebaute Uferland, reißen das schon befestigte Schiff wieder los und verjagen Thialfi, ihr gewaltiger Wogenschlag gleicht dem Schlage mit eisenbeschlagenen Keulen.“

Diesen Kämpfen Thors stellt Harbard seine Kriegsthaten, Zauber- und Liebesabenteuer entgegen. Von den Geschichten, deren er dabei gedenkt (16. 20. 24), wißen wir keine weitere Auskunft. Am entschiedensten spricht es sein Wesen aus, wenn er Kämpfen und Streiten nachzieht, die Fürsten verfeindet und dem Frieden zu wehren sucht; wenn er sich rühmt, auch jetzt wieder bei dem Heere gewesen zu sein, das hieher Kriegsfahnen erhob, um den Sper zu färben, oder wenn er dem Thor vorwirft, daß er wohl Macht habe, aber nicht Muth, daß nur die Knechte, die das Feld bestellen, sein Antheil wären, während zu Odhin die Fürsten kämen, die im Kampfe fallen, wornach er auch auf Thors Frage, wie er zu den Hohnreden komme, antwortet, er lerne sie von den alten Leuten, die in den Wäldern wohnen, womit er, wie wir aus Thors Entgegnung sehen, die Erschlagenen meint, denen da Grabmäler errichtet sind. Löning bemerkt mit Recht, daß eine schmähliche Übertreibung darin liege, daß Harbard auch die freien Bauern, weil sie nicht Kampfhelden sind, zu den Knechten rechnet.

Zu Anfang des Gesprächs hatte er zu Thor gesagt, es stehe übel bei ihm daheim, seine Mutter werde todt sein. Str. 48 entgegnet er auf eine Drohung Thors, Sif, sein Gemahl, habe einen Buhler daheim: an dem solle er seine Kraft erproben. Thor scheint das erst nicht zu glauben; da ihm aber die Überfahrt verweigert bleibt, bittet er, ihm wenigstens den Weg zu zeigen, womit er den Heimweg meinen muß, denn indem Harbard ihm diesen bis Werland beschreibt, fügt er hinzu: dort werde Fiörgyn u. s. w. ihren Sohn treffen. Diese Runen löst Uhland mit diesen Worten: „Thors Mutter, die Erde, in Folge von Hildolfs Kriegszug verheert und ungebaut, liegt leblos da, und seine Gattin Sif, die letzte Ernte, ward der fremden Gewalt zur Beute. Doch ist Jörd nicht wirklich todt, denn auf dem Wege zur Linken, den Harbard zuletzt dem Wanderer anzeigt, in Werland, wird Fiörgyn, einer der Namen Jörds, ihren Sohn Thor finden und ihn der Verwandten Wege zu Odhins Lande lehren; mit Mühe wird er bei noch obenstehender Sonne dahin gelangen. Unter diesem mühsamen Umweg, dessen Angabe Thor für Spott zu nehmen scheint, ist dem ganzen Zusammenhange nach eine neue Aussaat und Feldbestellung, die doch dem Jahre noch einen Ertrag abgewinnt, zu verstehen. Dem von Osten kommenden Thor ist der Weg zur linken Hand ein südlicher, sommerlicher: in Frühlingssaat und Sommerfrucht muß er seinen Ausweg suchen; Werland, wo er seine Mutter Erde noch am Leben trifft, ist das von Menschen bewohnte, dem Anbau günstige Land; die Bahnen der Verwandten zu Odhins Landen beziehen sich dann auf das Emporstreben der Saat in Licht und Luft, die Gebiete der Asen, im Gegensatze zu den finstern beeisten Pfaden, auf denen Thor sonst mit dem Saatkorbe wandeln muß; mit Noth kommt er noch vor untergehender Sonne an das Ziel, kaum noch gelangt die neue Aussaat vor einbrechendem Winter zur Reife.“

Übrigens scheint dieses Lied, das mehrfach auf Erzählungen anspielt, die wir nur aus der j. Edda kennen, eins der jüngsten. Auffallen muß, daß Thor, der sonst Ströme watet, hier der Überfahrt harrt. Auf ältern Grund deutet aber doch wieder, daß Harbard sich Str. 52 für einen Viehhirten ausgiebt. Daß vor der Unterwelt Vieh geweidet wird, ist Handb. §. 125 nachgewiesen. Vgl. Skirnisf. 11. War Odhin vielleicht in dem ältern, dem unsern zu Grunde liegenden, Liede, wie wir ihn als Todtengott kennen lernen, zugleich als Todtenschiffer gedacht, und vergliche sich mit Thor Hagen bei Gelfrats Fergen, Dietrich bei Norprecht?