Historisches und Mythologie

Historisches und MythologieAls Mythologie bezeichnen wir die Gesamtheit der mythischen Überlieferungen, der Mythen, Sagen, Dichtungen aus der Vorzeit eines Volkes. Sowohl die nordische als auch die kontinentalgermanische Mythologie ist – wie auch die Religion – nicht als festgelegtes System zu verstehen. So ergibt sich ein uneinheitliches, regional stark differenziertes Bild. Historisches und Mythologie zu Völven, Heilern und runischen Schamanen ist nur spärlich überliefert.

Mythologie und Religion

Die nordische und kontinentalgermanische Mythologie ist eng mit der Religion verbunden. Durch die ausschließlich mündliche Weitergabe in vorchristlicher Zeit sind die Überlieferungen ständigen Veränderungen unterworfen worden. Die wörtliche Auslegung der Legenden und Sagen führt daher oftmals zu Missverständnissen. Joseph Campbell wies zu Recht darauf hin, dass aus religiöser Sicht Mythos als „die Religion anderer Leute“ definiert werden kann. Insofern sei Religion „missverstandene Mythologie“. Das Missverständnis bestehe darin, dass „mythische Metaphern als Hinweise auf unumstößliche Tatsachen interpretiert werden“.

Mythologie und Lebensweise

Für das Verständnis nordischer und kontinentalgermanischer Mythologie sind Kenntnisse über die Lebensweise der Menschen in der Zeit vor der Christianisierung sehr hilfreich. Historisches und Mythologie sind miteinander zu vergleichen und die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen. Oftmals wird dazu die Germania des römischen Historikers Tacitus (ca. 58 – 120 n. Chr.) herangezogen. Tacitus selbst war jedoch nie in Germanien. Wahrscheinlich ist, dass er sein Wissen größtenteils aus literarischen Quellen bezog, wie aus Gaius Julius Cäsars Werk über den Gallischen Krieg (De bello Gallico) und dem darin enthaltenen Germanenexkurs. Als weitere Quellen kommen auch der Germanenexkurs im Geschichtswerk des Titus Livius und die bella Germaniae („Germanenkriege“) des älteren Plinius in Betracht. Beide Werke sind im Original jedoch nicht oder nicht vollständig erhalten.

Umgang mit Mythologie

Der Umgang mit Mythologie ist nie einfach. Meist handelt es sich um Metaphern, die den Menschen in vergangener Zeit geläufig und verständlich waren. Andererseits hat die Mythologie ihren Ursprung in einer Zeit, als die Menschen noch nicht das Wissen hatten, um sich natürliche Vorgänge zu erklären. Wie sollte jemand, der sich Donner und Blitz nur als Äußerung eines Gottes vorstellt, auch den Urknall verstehen sollen? Wenn wir die Berichte aus der Mythologie also wörtlich nehmen, werden wir sie kaum verstehen können.

Lasst mich dazu ein Beispiel anführen: Die Kinder von Loki und der Riesin Angrboda. Hel, die Midgardschlange und der Fenriswolf, die drei germanischen Weltfeinde. In der Mythologie wird die Midgardschlange als eine die Welt umspannende Seeschlange beschrieben. Der Fenriswolf wird die Götter verschlingen und Hel ist die Totengöttin, in deren Reich die Seelen gequält werden.

Vielleicht werden wir eines Tages in der Tiefsee ein Wesen entdecken, welches der Beschreibung der Midgardschlange ähnelt. Aber es wird nicht die Midgardschlange sein! Die Midgardschlange ist kein Wesen, sie ist ein Symbol. Sie steht für Neid, Habgier und Missgunst der Menschen auf Midgard. Wenn Thor gegen die Midgardschlange kämpft, dann kämpft er für uns. Er ist der Beschützer Midgards und es ist sein Bestreben, uns in die Gemeinschaft der Welten als gleichberechtigte Partner zu integrieren. Bislang ist das nicht gelungen.

Ähnlich verhält es sich mit dem Fenriswolf. Auf ihm reiten die Hexen und er wird zu Ragnarök Odin verschlingen. Doch auch der Fenriswolf ist ein Symbol. Wenden wir uns von den Göttern ab, so wächst seine Macht und er wird sich von seinen Fesseln befreien können. Ehren wir die Götter (nicht zu verwechseln mit verehren!), so stärken wir die Fesseln. Er spiegelt also unser Verhältnis zu den Göttern und dessen Folgen wieder.

Irrtümer durch Übersetzungen

Ein passendes Beispiel für eine Fehlinterpretation durch die Übersetzung in die deutsche Sprache ist der Begriff Runensänger. Die Bezeichnung Runensänger stammt aus der finnischen Volksdichtung. Diese Art der Dichtung ist vermutlich bereits vor 2500 bis 3000 Jahren entstanden.

Die finnische Volksdichtung wird in drei Hauptzweige eingeteilt: Epik, Lyrik und Beschwörungen. Die Beschwörungslieder stammen aus der vorchristlichen Magie. Durch Zaubersprüche versuchte man etwa die Heilung von Krankheiten oder Jagdglück zu beschwören. Diese Lieder wurden Runen (finnisch runo) genannt. Es gab wandernde Runensänger, die ein großes Repertoire an Liedern (Runen) auswendig vortragen konnten.

Die Runensänger sangen also Volkslieder, die in Finnland als Runen bezeichnet wurden. Runensänger bedeutet daher eigentlich „Sänger einer bestimmten Art von Volksliedern“. Mit dem Singen von Runen im Sinne von Runen des Futhark, hat das allerdings rein gar nichts zu tun. Dennoch hält sich diese Interpretation hartnäckig.

 


 
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Bild „Historisches und Mythologie“: Deckblatt einer isländischen Abschrift der Snorra-Edda aus dem Jahr 1666 © (PD)