Hâvamâl – Die Edda, Göttersage

HâvamâlDie Hâvamâl, des Hohen Lied oder die Sprüche des Hohen, heißt eine Sammlung von insgesamt 164 eddischen Strophen, die zu der Lieder-Edda gerechnet werden. Hoch in „Des Hohen Lied“ oder „Die Sprüche des Hohen“ bezieht sich auf den nordischen Gott Odin, der in dem Gedicht den sterblichen Menschen Rat gibt, wie sie ein erfolgreiches und ehrenwertes Leben führen können.

6. Hâvamâl.

Des Hohen Lied.
1

Der Ausgänge halber bevor du eingehst
Stelle dich sicher,
Denn ungewiss ist, wo Widersacher
Im Hause halten.

2

Heil dem Geber! der Gast ist gekommen:
Wo soll er sitzen?
Athemlos ist, der unterwegs
Sein Geschäft besorgen soll.

3

Wärme wünscht der vom Wege kommt
Mit erkaltetem Knie;
Mit Kost und Kleidern erquicke den Wandrer,
Der über Felsen fuhr.

4

Waßer bedarf, der Bewirthung sucht,
Ein Handtuch und holde Nöthigung.
Mit guter Begegnung erlangt man vom Gaste
Wort und Wiedervergeltung.

5

Witz bedarf man auf weiter Reise;
Daheim hat man Nachsicht.
Zum Augengespött wird der Unwißende,
Der bei Sinnigen sitzt.

6

Doch steife sich Niemand auf seinen Verstand,
Acht hab er immer.
Wer klug und wortkarg zum Wirthe kommt
Schadet sich selten:
Denn festern Freund als kluge Vorsicht
Mag der Mann nicht haben.

7

Vorsichtiger Mann, der zum Male kommt,
Schweigt lauschend still.
Mit Ohren horcht er, mit Augen späht er
Und forscht zuvor verständig.

8

Selig ist, der sich erwirbt
Lob und guten Leumund.
Unser Eigentum ist doch ungewiss
In des Andern Brust.

9

Selig ist, wer selbst sich mag
Im Leben löblich rathen,
Denn übler Rath wird oft dem Mann
Aus des Andern Brust.

10

Nicht beßre Bürde bringt man auf Reisen
Als Wißen und Weisheit.
So frommt das Gold in der Fremde nicht,
In der Noth ist nichts so nütze.

11

Nicht üblern Begleiter giebt es auf Reisen
Als Betrunkenheit ist,
Und nicht so gut als Mancher glaubt
Ist Äl den Erdensöhnen,
Denn um so minder je mehr man trinkt
Hat man seiner Sinne Macht.

12

Der Vergeßenheit Reiher überrauscht Gelage
Und stiehlt die Besinnung.
Des Vogels Gefieder befing auch Mich
In Gunlöds Haus und Gehege.

13

Trunken ward ich und übertrunken
In des schlauen Fialars Felsen.
Trunk mag taugen, wenn man ungetrübt
Sich den Sinn bewahrt.

14

Schweigsam und vorsichtig sei des Fürsten Sohn
Und kühn im Kampf.
Heiter und wohlgemuth erweise sich Jeder
Bis zum Todestag.

15

Der unwerthe Mann meint ewig zu leben,
Wenn er vor Gefechten flieht.
Das Alter gönnt ihm doch endlich nicht Frieden.
Obwohl der Sper ihn spart.

16

Der Tölpel glotzt, wenn er zum Gastmal kommt,
Murmelnd sitzt er und mault.
Hat er sein Theil getrunken hernach,
So sieht man welchen Sinns er ist.

17

Der weiß allein, der weit gereist ist,
Und Vieles hat erfahren,
Welches Witzes jeglicher waltet,
Wofern ihn selbst der Sinn nicht fehlt.

18

Lange zum Becher nur, doch leer ihn mit Maß,
Sprich gut oder schweig.
Niemand wird es ein Laster nennen,
Wenn du früh zur Ruhe fährst.

19

Der gierige Schlemmer, vergißt er der Tischzucht,
Schlingt sich schwere Krankheit an;
Oft wirkt Verspottung, wenn er zu Weisen kommt,
Thörichtem Mann sein Magen.

20

Selbst Heerden wißen, wann zur Heimkehr Zeit ist
Und gehn vom Grase willig;
Der Unkluge kennt allein nicht
Seines Magens Maß.

21

Der Armselige, Übelgesinnte
Hohnlacht über Alles
Und weiß doch selbst nicht was er wißen sollte,
Daß er nicht fehlerfrei ist.

22

Unweiser Mann durchwacht die Nächte
Und sorgt um alle Sachen;
Matt nur ist er, wenn der Morgen kommt,
Der Jammer währt wie er war.

23

Ein unkluger Mann meint sich Alle hold,
Die ihn lieblich anlachen.
Er versieht es sich nicht, wenn sie Schlimmes von ihm reden
So er zu Klügern kommt.

24

Ein unkluger Mann meint sich Alle hold,
Die ihm kein Widerwort geben;
Kommt er vor Gericht, so erkennt er bald,
Daß er wenig Anwälte hat.

25

Ein unkluger Mann meint Alles zu können,
Wenn er sich einmal zu wahren wuste.
Doch wenig weiß er was er antworten soll,
Wenn er mit Schwerem versucht wird.

26

Ein unkluger Mann, der zu Andern kommt,
Schweigt am Besten still.
Niemand bemerkt, daß er nichts versteht
So lang er zu sprechen scheut.
Nur freilich weiß wer wenig weiß
Auch das nicht, wann er schweigen soll.

27

Weise dünkt sich schon wer zu fragen weiß
Und zu sagen versteht;
Doch Unwißenheit mag kein Mensch verbergen,
Der mit Leuten leben muß.

28

Der schwatzt zuviel, der nimmer geschweigt
Eitel unnützer Worte.
Die zappelnde Zunge, die kein Zaum verhält,
Ergellt sich selten Gutes.

29

Mach nicht zum Spott der Augen den Mann,
Der vertrauend Schutz will suchen.
Klug dünkt sich leicht, der von Keinem befragt wird
Und mit heiler Haut daheim sitzt.

30

Klug dünkt sich gern, wer Gast den Gast
Verhöhnend, Heil in der Flucht sucht.
Oft merkt zu spät, der beim Male Hohn sprach,
Wie grämlichen Feind er ergrimmte.

31

Zu oft geschiehts, daß sonst nicht Verfeindete
Sich als Tischgesellen schrauben.
Dieses Aufziehn wird ewig währen:
Der Gast grollt dem Gaste.

32

Bei Zeiten nehme den Imbiß zu sich,
Der nicht zu gutem Freunde fährt.
Sonst sitzt er und schnappt und will verschmachten
Und hat zum Reden nicht Ruhe.

33

Ein Umweg ists zum untreuen Freunde,
Wohnt er gleich am Wege;
Zum trauten Freunde führt ein Richtsteig
Wie weit der Weg sich wende.

34

Zu gehen schickt sich, nicht zu gasten stäts
An derselben Statt.
Der Liebe wird leid, der lange weilt
In des Andern Haus.

35

Eigen Haus, ob eng, geht vor,
Daheim bist du Herr,
Zwei Ziegen nur und dazu ein Strohdach
Ist beßer als Betteln.

36

Eigen Haus, ob eng, geht vor,
Daheim bist du Herr.
Das Herz blutet Jedem, der erbitten muß
Sein Mal alle Mittag.

37

Von seinen Waffen weiche Niemand
Einen Schritt im freien Feld:
Niemand weiß unterwegs wie bald
Er seines Spers bedarf.

38

Nie fand ich so milden und kostfreien Mann,
Der nicht gerne Gab empfing,
Mit seinem Gute so freigebig Keinen,
Dem Lohn wär leid gewesen.

39

Des Vermögens, das der Mann erwarb,
Soll er sich selbst nicht Abbruch thun:
Oft spart man dem Leiden was man dem Lieben bestimmt;
Viel fügt sich schlimmer als man denkt.

40

Freunde sollen mit Waffen und Gewändern sich erfreun,
Den schönsten, die sie besitzen:
Gab und Gegengabe begründet Freundschaft,
Wenn sonst nichts entgegen steht.

41

Der Freund soll dem Freunde Freundschaft bewähren
Und Gabe gelten mit Gabe.
Hohn mit Hohn soll der Held erwiedern,
Und Losheit mit Lüge.

42

Der Freund soll dem Freunde Freundschaft bewähren,
Ihm selbst und seinen Freunden.
Aber des Feindes Freunde soll Niemand
Sich gewogen erweisen.

43

Weist du den Freund, dem du wohl vertraust
Und erhoffst du Holdes von ihm,
So tausche Gesinnung und Geschenke mit ihm,
Und suche manchmal sein Haus heim.

44

Weist du den Mann, dem du wenig vertraust
Und hoffst doch Holdes von ihm,
Sei fromm in Worten und falsch im Denken
Und zahle Losheit mit Lüge.

45

Weist du dir Wen, dem du wenig vertraust,
Weil dich sein Sinn verdächtig dünkt,
Den magst du anlachen, und an dich halten:
Die Vergeltung gleiche der Gabe.

46

Jung war ich einst, da ging ich einsam
Verlaßne Wege wandern.
Doch fühlt ich mich reich, wenn ich Andere fand:
Der Mann ist des Mannes Lust.

47

Der milde, muthige Mann ist am glücklichsten,
Den selten Sorge beschleicht;
Doch der Verzagte zittert vor Allem
Und kargt verkümmernd mit Gaben.

48

Mein Gewand gab ich im Walde
Moosmännern zweien.
Bekleidet dauchten sie Kämpen sich gleich,
Während Hohn den Nackten neckt.

49

Der Dornbusch dorrt, der im Dorfe steht,
Ihm bleibt nicht Blatt noch Borke.
So geht es dem Mann, den Niemand mag:
Was soll er länger leben?

50

Heißer brennt als Feuer der Bösen
Freundschaft fünf Tage lang;
Doch sicher am sechsten ist sie erstickt
Und alle Lieb erloschen.

51

Die Gabe muß nicht immer groß sein:
Oft erwirbt man mit Wenigem Lob.
Ein halbes Brot, eine Neig im Becher
Gewann mir wohl den Gesellen.

52

Wie Körner im Sand klein an Verstand
Ist kleiner Seelen Sinn.
Ungleich ist der Menschen Einsicht,
Zwei Hälften hat die Welt.

53

Der Mann muß mäßig weise sein,
Doch nicht allzuweise.
Das schönste Leben ist dem beschieden,
Der recht weiß was er weiß.

54

Der Mann muß mäßig weise sein,
Doch nicht allzuweise.
Des Weisen Herz erheitert sich selten
Wenn er zu weise wird.

55

Der Mann muß mäßig weise sein,
Doch nicht allzuweise.
Sein Schicksal kenne Keiner voraus,
So bleibt der Sinn ihm sorgenfrei.

56

Brand entbrennt an Brand bis er zu Ende brennt,
Flamme belebt sich an Flamme.
Der Mann wird durch den Mann der Rede mächtig:
Im Verborgnen bleibt er blöde.

57

Früh aufstehen soll wer den Andern sinnt
Um Haupt und Habe zu bringen:
Dem schlummernden Wolf glückt selten ein Fang,
Noch schlafendem Mann ein Sieg.

58

Früh aufstehen soll wer wenig Arbeiter hat,
Und schaun nach seinem Werke.
Manches versäumt wer den Morgen verschläft:
Dem Raschen gehört der Reichtum halb.

59

Dürrer Scheite und deckender Schindeln
Weiß der Mann das Maß,
Und all des Holzes, womit er ausreicht
Während der Jahreswende.

60

Rein und gesättigt reit zur Versammlung
Um schönes Kleid unbekümmert.
Der Schuh und der Hosen schäme sich Niemand,
Noch des Hengstes, hat er nicht guten.

61

Zu sagen und zu fragen verstehe Jeder,
Der nicht dumm will dünken.
Nur Einem vertrau er, nicht auch dem Andern;
Wißens dreie, so weiß es die Welt.

62

Verlangend lechzt eh er landen mag
Der Aar auf der ewigen See.
So geht es dem Mann in der Menge des Volks,
Der keinen Anwalt antrifft.

63

Der Macht muß der Mann, wenn er klug ist,
Sich mit Bedacht bedienen,
Denn bald wird er finden, wenn er sich Feinde macht,
Daß dem Starken ein Stärkrer lebt.

64

Umsichtig und verschwiegen sei ein Jeder
Und im Zutraun zaghaft.
Worte, die Andern anvertraut wurden,
Büßt man oft bitter.

65

An manchen Ort kam ich allzufrüh;
Allzuspät an andern.
Bald war getrunken das Bier, bald zu frisch;
Unlieber kommt immer zur Unzeit.

66

Hier und dort hätte mir Labung gewinkt,
Wenn ich des bedurfte.
Zwei Schinken noch hingen in des Freundes Halle,
Wo ich Einen schon geschmaust.

67

Feuer ist das Beste dem Erdgebornen,
Und der Sonne Schein;
Nur sei Gesundheit ihm nicht versagt
Und lasterlos zu leben.

68

Ganz unglücklich ist Niemand, ist er gleich nicht gesund:
Einer hat an Söhnen Segen,
Einer an Freunden, Einer an vielem Gut,
Einer an trefflichem Thun.

69

Leben ist beßer, auch Leben in Armut:
Der Lebende kommt noch zur Ruh.
Feuer sah ich des Reichen Reichtümer freßen,
Und der Tod stand vor der Thür.

70

Der Hinkende reite, der Handlose hüte,
Der Taube taugt noch zur Tapferkeit.
Blind sein ist beßer als verbrannt werden:
Der Todte nützt zu nichts mehr.

71

Ein Sohn ist beßer, ob spät geboren
Nach des Vaters Hinfahrt.
Bautasteine stehn am Wege selten,
Wenn sie der Freund dem Freund nicht setzt.

72

Zweie gehören zusammen und doch schlägt die Zunge das Haupt.
Unter jedem Gewand erwart ich eine Faust.

73

Der Nacht freut sich wer des Vorraths gewiss ist,
Doch herb ist die Herbstnacht.
Fünfmal wechselt oft das Wetter am Tag:
Wie viel mehr im Monat!

74

Wer wenig weiß, der weiß auch nicht,
Daß Einen oft der Reichtum äfft;
Einer ist reich, ein Andrer arm:
Den soll Niemand narren.

75

Das Vieh stirbt, die Freunde sterben
Endlich stirbt man selbst;
Doch nimmer mag ihm der Nachruhm sterben,
Welcher sich guten gewann.

76

Das Vieh stirbt, die Freunde sterben,
Endlich stirbt man selbst;
Doch Eines weiß ich, daß immer bleibt:
Das Urtheil über den Todten.

77

Volle Speicher sah ich bei Fettlings Sproßen,
Die heuer am Hungertuch nagen:
Überfluß währt einen Augenblick,
Dann flieht er, der falscheste Freund.

78

Der alberne Geck, gewinnt er etwa
Gut oder Gunst der Frauen,
Gleich schwillt ihm der Kamm, doch die Klugheit nicht;
Nur im Hochmuth nimmt er zu.

79

Was wirst du finden, befragst du die Runen,
Die hochheiligen,
Welche Götter schufen, Hohepriester schrieben?
Daß nichts beßer sei als Schweigen.

80

Den Tag lob Abends, die Frau im Tode,
Das Schwert, wenns versucht ist,
Die Braut nach der Hochzeit, eh es bricht das Eis,
Das Äl, wenns getrunken ist.

81

Im Sturm fäll den Baum, stich bei Fahrwind in See,
Mit der Maid spiel im Dunkeln: manch Auge hat der Tag.
Das Schiff ist zum Segeln, der Schild zum Decken gut,
Die Klinge zum Hiebe, zum Küssen das Mädchen.

82

Trink Äl am Feuer, auf Eis lauf Schrittschuh,
Kauf mager das Ross und rostig das Schwert.
Zieh den Hengst daheim, den Hund im Vorwerk.

83

Mädchenreden vertraue kein Mann,
Noch der Weiber Worten.
Auf geschwungnem Rad geschaffen ward ihr Herz,
Trug in der Brust verborgen.

84

Krachendem Bogen, knisternder Flamme,
Schnappendem Wolf, geschwätziger Krähe,
Grunzender Bache, wurzellosem Baum,
Schwellender Meerflut, sprudelndem Keßel;

85

Fliegendem Pfeil, fallender See,
Einnächtgem Eis, geringelter Natter,
Bettrede der Braut, bruchigem Schwert,
Kosendem Bären und Königskinde;

86

Siechem Kalb, gefälligem Knecht,
Wahrsagendem Weib, auf der Walstatt Besiegtem,
Heiterm Himmel, lachendem Herrn,
Hinkendem Köter und Trauerkleidern;

87

Dem Mörder deines Bruders, wie breit wär die Straße,
Halbverbranntem Haus, windschnellem Hengst,
(Bricht ihm ein Bein, so ist er unbrauchbar):
Dem Allen soll Niemand voreilig trauen.

88

Frühbesätem Feld trau nicht zu viel,
Noch altklugem Kind.
Wetter braucht die Saat und Witz das Kind:
Das sind zwei zweiflige Dinge.

89

Die Liebe der Frau, die falschen Sinn hegt,
Gleicht unbeschlagnem Ross auf schlüpfrigem Eis,
Muthwillig, zweijährig, und übel gezähmt;
Oder steuerlosem Schiff auf stürmender Flut,
Der Gemsjagd des Lahmen auf glatter Bergwand.

90

Offen bekenn ich, der beide wohl kenne,
Der Mann ist dem Weibe wandelbar;
Wir reden am Schönsten, wenn wir am Schlechtesten denken:
So wird die Klügste geködert.

91

Schmeichelnd soll reden und Geschenke bieten
Wer des Mädchens Minne will,
Den Liebreiz loben der leuchtenden Jungfrau:
So fängt sie der Freier.

92

Der Liebe verwundern soll sich kein Weiser
An dem andern Mann.
Oft feßelt den Klugen was den Thoren nicht fängt,
Liebreizender Leib.

93

Unklugheit wundre Keinen am Andern,
Denn Viele befällt sie.
Weise zu Tröpfen wandelt auf Erden
Der Minne Macht.

94

Das Gemüth weiß allein, das dem Herzen innewohnt
Und seine Neigung verschließt,
Daß ärger Übel den Edeln nicht quälen mag
Als Liebesleid.

95

Selbst erfuhr ich das, als ich im Schilfe saß
Und meiner Holden harrte.
Herz und Seele war mir die süße Maid;
Gleichwohl erwarb ich sie nicht.

96

Ich fand Billungs Maid auf ihrem Bette,
Weiß wie die Sonne, schlafend.
Aller Fürsten Freude fühlt ich nichtig,
Sollt ich ihrer länger ledig leben.

97

„Am Abend sollst du, Odhin, kommen,
Wenn du die Maid gewinnen willst.
Nicht ziemt es sich, daß mehr als Zwei
Von solcher Sünde wißen.“

98

Ich wandte mich weg Erwiedrung hoffend,
Ob noch der Neigung ungewiss;
Jedennoch dacht ich, ich dürft erringen
Ihre Gunst und Liebesglück.

99

So kehrt ich wieder: da war zum Kampf
Strenge Schutzwehr auferweckt,
Mit brennenden Lichtern, mit lodernden Scheitern
Mir der Weg verwehrt zur Lust.

100

Am folgenden Morgen fand ich mich wieder ein,
Da schlief im Saal das Gesind;
Ein Hündlein sah ich statt der herlichen Maid
An das Bett gebunden.

101

Manche schöne Maid, wers merken will,
Ist dem Freier falsch gesinnt.
Das erkannt ich klar, als ich das kluge Weib
Verlocken wollte zu Lüsten.
Jegliche Schmach that die Schlaue mir an
Und wenig ward mir des Weibes.

102

Munter sei der Hausherr und heiter bei Gästen
Nach geselliger Sitte,
Besonnen und gesprächig: so schein er verständig,
Und rathe stäts zum Rechten.

103

Der wenig zu sagen weiß wird ein Erztropf genannt,
Es ist des Albernen Art.

104

Den alten Riesen besucht ich, nun bin ich zurück:
Mit Schweigen erwarb ich da wenig.
Manch Wort sprach ich zu meinem Gewinn
In Suttungs Saal.

105

Gunnlöd schenkte mir auf goldnem Seßel
Einen Trunk des theuern Meths.
Übel vergolten hab ich gleichwohl
Ihrem heiligen Herzen,
Ihrer glühenden Gunst.

106

Ratamund ließ ich den Weg mir räumen
Und den Berg durchbohren;
In der Mitte schritt ich zwischen Riesensteigen
Und hielt mein Haupt der Gefahr hin.

107

Schlauer Verwandlungen Furcht erwarb ich,
Wenig misslingt dem Listigen.
Denn Odhrörir ist aufgestiegen
Zur weitbewohnten Erde.

108

Zweifel heg ich ob ich heim wär gekehrt
Aus der Riesen Reich,
Wenn mir Gunnlöd nicht half, die herzige Maid,
Die den Arm um mich schlang.

109

Die Eisriesen eilten des andern Tags
Des Hohen Rath zu hören
In des Hohen Halle.
Sie fragten nach Bölwerkr, ob er heimgefahren sei
Oder ob er durch Suttung fiel.

110

Den Ringeid, sagt man, hat Odhin geschworen:
Wer traut noch seiner Treue?
Den Suttung beraubt’ er mit Ränken des Meths
Und ließ sich Gunnlöd grämen.

 


 
 
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Bild „Die Edda Hâvamâl“: Die drei Jungfrauen an der Quelle des Schicksals, Zeichnung von Ludwig Pietsch, 1865. © (PD)