Die Edda Anmerkungen (Simrock 1876)

32. Das dritte Gudrunenlied.

Nach der deutschen Sage ist Erka oder Helche, die geschichtliche Kerka des Priscus, Etzels erste Gemahlin, nach deren Tode er sich Kriemhilden, der Wittwe Siegfrieds, also der eddischen Gudrun vermählt. In unserm Liede finden wir aber Gudrun neben Herkia, die jedoch zur Magd Atlis herabgesunken ist. Gleichwohl wird auch sie aus der deutschen Sage eingedrungen sein, zumal neben ihr Dietrich erscheint wie schon im vorigen Liede. Zwar wißen die deutschen Lieder von der hier erzählten Begebenheit so wenig als von einem zärtlichen Verhältniss Dietrichs zu Kriemhilden, auch ist das Gottesurtheil des Keßelfangs, obgleich in Deutschland früher heimisch, doch dem Norden nicht fremd geblieben, da es nach R. A. 922 in der Graugans erwähnt wird; aber eine deutliche Beziehung auf unsere Heldensage ist es, wenn von Dietrich Str. 5 gesagt wird, er sei mit dreißig Mannen zu Atli gekommen, und nicht einer lebe ihm mehr von allen dreißigen. Denn nach den deutschen Liedern kam Dietrich mit etwa so viel Mannen (das Gedicht von der Flucht nennt drei und vierzig) zu Atli, und verlor sie, wie wir in den Nibelungen sehen, während eines dreißigjährigen Aufenthalts an seinem Hofe in den Kämpfen, die er für ihn bestand, so daß sogar die Zahl dreißig aus unserer Sage genommen und durch Verwechselung auf die Begleiter Dietrichs angewandt sein kann. Die j. Edda und die Wölsungas. kennen den Inhalt dieses Liedes nicht, P. E. Müller schreibt es dem Sämund selber zu; ich sehe aber keinen genügenden Grund, es als unecht zu verwerfen. Der Einfluß der deutschen Sage reicht dazu nicht hin, denn diesen können auch die echtesten eddischen Lieder nicht verläugnen, und wenn Dietrich sonst der Edda unbekannt geblieben ist, so gehört doch auch das Wölundurlied, und gewissermaßen selbst das Hamdismal zur gotischen Sage. Und was man gegen unser Lied einwendet, daß es mit der Sage im Widerspruch stehe, indem sich die Begebenheit nach dem Tode Gunnars und Högnis zutrage, wo aber gar kein Platz mehr dafür sei, da noch an demselben Tage Gudrun an Atli Rache nehme, das beruht nur auf Atlakwida, während Atlamal übereinstimmend mit D. 62 und Wöls. S. c. 38 zwischen Högnis und Gunnars Fall und der Ermordung Atlis eine Zwischenzeit annehmen. Müllenhoff a. a. O. 173. Das zweite Gudrunenlied fällt gleichfalls, wie wir gesehen haben, zwischen den Tod Gunnars und Högnis und die Rache, welche Gudrun dafür an Atli nimmt, und obgleich unser drittes mit dem Trotze dieses zweiten nicht stimmt und daher von Rask nicht mit ihm zu einem Ganzen hätte verbunden werden sollen, so hebt sich doch durch beider Vergleichung der wider unser Lied erhobene Einwand.

Endlich darf uns auch der Keßelfang gegen dieses Lied nicht einnehmen, er spricht nicht einmal für seinen spätern Ursprung, da Gottesurtheile, wenn sie auch das Christentum eine Zeitlang dulden muste, und sogar durch kirchliche Gebräuche geheiligt hat, heidnischen Ursprungs und sogar vom höchsten Altertum sind. Daß der Gebrauch des Keßelfangs dem Norden bekannt war, haben wir schon erwähnt: doch dürfen wir nicht verschweigen, daß Str. 6 eine Andeutung enthält, als ob er aus Sachsen herübergekommen sei; vgl. auch K. Maurer in Zachers Ztschr. II, 443. Die Strafe, welche Herkia trifft, ist aber eine altgermanische, die schon dem Tacitus bekannt war.

33. Oddruns Klage.

Dieß Lied wird mit Recht als ein Auswuchs der Sage betrachtet, da es ein fremdes, schon romantisches Motiv hinein zu bringen sucht, das gleichwohl unwirksam bleibt und also müßig da steht. Atlis Rache an Gudruns Brüdern ist durch Brynhilds Tod, welchen er den Giukungen Schuld gab, hinreichend begründet; des Vorwurfs, daß Gunnar Oddrun verführt habe, bedurfte es nicht. Auch für den Ritt der Giukungen zu Atli reicht der Beweggrund aus, welchen die echte Sage berichtet, daß sie auf ihres Schwagers Einladung die Schwester zu besuchen kamen: um Oddruns Willen, wie das Lied anzunehmen scheint, brauchten sie nicht dahin zu fahren. Der Verfaßer des Mords der Niflunge, der doch Oddruns Klage zu kennen scheint, hat auch dieses Motiv ihrer Fahrt nicht herausgelesen, da er nach den beiden Atliliedern berichtet, Gunnar habe sich schon vor derselben mit Glömwör, wie Högni mit Kostbera, vermählt. Auffallend ist aber, daß das dritte Sigurdslied in dem letzten Theile Str. 56 das Verhältniss Gunnars zu Oddrun kennt. W. Grimm vermuthet daher, daß diese Str. 56 unecht, und erst durch unser Lied in Brynhilds Weißagungen gekommen sei. Mit der Unechtheit jener Str. erklären wir uns einverstanden, aber aus unserm Liede scheint sie nicht entlehnt, da nach ihm das Verhältnis Gunnars zu Oddrun älter sein soll als seine Verbindung mit Brynhild, während jene Str. 56, die im Munde der sterbenden Brynhild liegt, es als ein Zukünftiges ankündigt, das erst nach ihrem Tode eintreten soll, wie es auch Drâp Niflunga auffaßt. Wahrscheinlich fand also der Dichter unseres Liedes die unechte Strophe schon vor, auf die er Str. 21 in den Worten „wie Brynhild sollte,“ anzuspielen scheint, und auf die er dann fortbaute und einen kleinen Roman gründete, der seine Erfindungsgabe sehr in Anspruch nahm, und doch nicht ganz befriedigend ersonnen ist. Manche Einwendung fällt zwar durch die neue Anordnung des Textes, in der wir S. Bugge gefolgt sind, zu Boden; andere Bedenken aber bleiben unerledigt. Nach Brynhilds Tode blieb Oddrun wie es scheint an Giukis Hofe und verließ ihn auch dann nicht, als Gunnars Werbung keinen Erfolg hatte; vielmehr ging sie jetzt heimliche Buhlschaft mit ihm ein, bei der sie von Atlis Spähern überrascht wurde. Diese hinterbringen dem Atli Alles, verhehlen es aber der Gudrun, die also schon mit ihm vermählt war. Hier fragen wir uns nun, warum warb Gunnar nicht um Oddrun, als Atli um Gudrun anhielt? Damals konnte er ja seine Einwilligung in Gudruns Vermählung mit Atli davon abhängig machen, daß dieser in seine Verbindung mit Oddrun willigte. Und warum forderte Atli, statt Oddrun durch seine Späher belauschen zu laßen, nicht lieber ihre Heimkehr, da nach dem Tode ihrer Schwester Brynhild zu ihrem Aufenthalt an Giukis Hof kein Grund mehr war? Auf diese Fragen giebt der Dichter keine Antwort. Ohne Atlis Einladung zu erwähnen läßt er sogleich die Giukungen an Atlis Hof reiten, wo dieser die bekannte grausame Rache an ihnen übt, nicht wegen Brynhilds Tod, sondern, wie man in solchem Zusammenhang (mit W. Grimm) voraussetzen muß, wegen des unerlaubten Umgangs mit Oddrun. Wie diese jetzt Str. 29 zu Geirmund kommt, wo sie Gunnars Harfenspiel vernimmt, erfahren wir nicht. Sie war, heißt es nur, dahin gegangen wie öfter geschah, das Gastmal zu rüsten, wie wir sie Str. 13 auch dem Gunnar das Gastmal zieren sahen; fast scheint es, als ob sie daraus ein Geschäft gemacht hätte. Dieß sind die Mängel in der Erfindung des Gedichts, welche wir zu rügen gedachten; daß Gunnars Betragen der Haltung widerspricht, in der ihn die Edda sonst erscheinen läßt, daß er durch das Verhältniss zu Oddrun herabgewürdigt ist, dieser Bemerkung W. Grimms stimmen wir gleichfalls bei.

Was die Einkleidung angeht, durch welche Oddrun zu ihrer Klage veranlaßt wird, so sind die darin angenommenen Verhältnisse sonst der Sage gänzlich unbekannt, indem sie weder von Borgny, noch von Heidrek und Wilmund weiß. Daß dieser Högnis Mörder gewesen sei, womit doch schwerlich ein anderer als Giukis Sohn gemeint sein wird, ist gleichfalls eine ganz willkürliche Annahme des Dichters, bei der er allerdings freie Hand hatte, da die Sage nicht meldet, wem das Geschäft übertragen ward, ihm das Herz auszuschneiden, obgleich Atlimal 57 vermuthen läßt, es sei Beiti gewesen.

Eigentümlich ist die Darstellung von Sigurds Eintritt in Brynhilds Burg, welche sich Str. 18 und 19 findet. Es ist aber für die Geschichte der Sage wenig daraus zu gewinnen, da der Dichter sich so unbestimmt ausdrückt, daß man nicht weiß ob er von Sigurds erstem oder zweitem Besuche dieser Burg reden wolle. Dem Zusammenhang nach sollte man glauben es könnte nur von dem zweiten die Rede sein, als er für Gunnar um Brynhild warb. Sollte hier unter Burg wieder der Scheiterhaufen zu verstehen sein wie Sig. Kw. III. 62. 63? Daß die ursprüngliche Bedeutung der um Brynhild geschlungenen Wafurlogi die Glut des Scheiterhaufens war, ist oben ausgeführt; aber wäre auch hier bei dem Worte Burg noch an diese früheste Bedeutung gedacht, so blieben doch die Worte: „Kampf ward gekämpft mit welscher Klinge“ unerklärt.

Übrigens gemahnen sowohl Anfang als Ende des Gedichts an deutsche Lieder, die gern in solcher Weise beginnen und schließen. Glücklicherweise spricht sonst nichts in demselben für deutschen Ursprung, da uns gerade dieses Lied auf unsere Rechnung zu nehmen am Wenigsten gelüstet.