Die Edda Anmerkungen (Simrock 1876)

27. Das dritte Lied von Sigurd.

Das günstige Urtheil, das wir von dem vorhergehenden Liede gefällt haben, scheint uns das gegenwärtige nur in seinen echten Theilen zu verdienen. Wir halten es für eine ziemlich junge Überarbeitung und Erweiterung eines ältern Liedes, das dem Verfaßer des ersten Gudrunenliedes, oder doch des prosaischen Schlußsatzes zu demselben, noch vorgelegen zu haben scheint. Darin ist nämlich die Angabe der Str. 67 unseres Liedes über die Zahl der mit Brynhilden verbrannten Knechte und Mägde mit Berufung auf das „kürzere Sigurdslied“ wiederholt. Wenn damit nicht unser Lied gemeint sein sollte, das in seiner gegenwärtigen Gestalt eins der längsten Lieder des nordischen Heldenbuchs ist, so müste das gemeinte verloren gegangen sein. Der Theil unseres Liedes, in welchem sich diese Angabe findet, ist aber gerade der beste und wird aus dem alten kürzern Liede beibehalten sein. Durch die Überarbeitung, bei welcher ältere Lieder benutzt scheinen, hat das Lied an Einheit verloren, da die Einleitung bis Str. 40 mit dem Hauptgegenstand, Brynhildens Selbstmord, im Missverhältniss steht. Die fünf ersten Strophen können die Absicht nicht verbergen, die in der Erläuterung zu dem vorhergehenden Liede bemerkte Lücke in der Sage, namentlich in Bezug auf Sigurds Verlobung mit Gudrun und die Werbung um Brynhild für Gunnar, auszufüllen. Die Str. 6–8 haben zwar viel Schönes, aber die nun folgende Aufreizung gegen Sigurd entbehrt kräftiger Motive, und die welche Gunnarn nach der schleppenden Erwägung Str. 13 endlich zu bestimmen scheinen, der Verlust Brynhilds und ihrer Schätze (Str. 14 und 15), sind so wenig die rechten als die gemeinen, von welchen er sich Str. 16 Högnis Mitwirkung verspricht. Bei der kurzen Darstellung von Sigurds Ermordung Str. 21–27 scheint der Dichter ältern guten, aber unter sich uneinigen Liedern zu folgen. Nach Str. 24 wird Sigurd wie in Hamdismal an Gudruns Seite schlafend ermordet, während Str. 27 mit dem zweiten Gudrunenlied anzunehmen scheint, er sei auf dem Wege zum Thing erschlagen worden. Ganz verwerflich und der Sage widersprechend ist aber die Art, wie Brynhild Str. 34–40 ihren Entschluß, Gunnarn die Hand zu reichen, zu erklären sucht, denn hienach geschah es weil sie weder ihr Vatererbe missen, noch mit ihrem Bruder Atli darum kriegen wollte. Daß sie lieber Sigurds Schätze (!) genommen und sich dem vermählt hätte, dem sie nach Str. 36 früher verlobt war, ist eine lächerlich schwache Beschönigung. Nach der echten Sage muste ihr keine andere Wahl geblieben sein als den zu freien, der die Bedingungen erfüllt hatte, an die ihr Besitz geknüpft war. Daß sie durch die Vorspiegelung als ob Gunnar diese Bedingungen erfüllt habe, bestimmt worden war diesem die Hand zu reichen, darin bestand das wider sie begangene Unrecht, über welches sie sich Str. 55 beschwert. Alle Berechtigung zu dieser Beschwerde fällt weg, wenn sie durch solche Erwägungen, wie die hier ausgeführten, vermocht wurde, dem Manne die Hand zu reichen, den sie nicht liebte. Vergebens sucht sie nach solchen Eingeständnissen den Schein des Wankelmuths am Schluß der Str. 39 von sich abzuwälzen. Dem Überarbeiter war aber das Verständniss der Sage abhanden gekommen. Ihm blieb für Brynhild kein anderes Motiv übrig, Sigurds Tod zu suchen als Eifersucht (Str. 8) und Herschsucht (Str. 11): daß sie ihn für ihre preisgegebene Ehre im Kampf mit unerloschener Liebe forderte und zu fordern genöthigt war; daß sie mit der eisernen Strenge ihrer Sinnesart nichts anerkennt als ihre Verlobung mit Sigurd, zu welcher die Vermählung, obgleich mit zwischengelegtem Schwerte (Str. 65) hinzugetreten war; daß sie sich als sein Gemahl betrachtet, und als seine Gattin mit ihm verbrannt sein will: das Alles finden wir hier nicht ausgedrückt, und was sie nach Str. 40 zum Selbstmord bestimmte: daß ein edelgeartetes Weib mit fremdem, ungeliebten Manne nicht leben solle, das hätte sie bedenken müßen ehe sie sich aus den angegebenen Beweggründen Gunnarn vermählte. Vortrefflich sind dagegen die nun folgenden Theile des Liedes, Högnis starke Äußerung gegen Brynhild Str. 44, ihre Selbstopferung und die Austheilung der Schätze unter die Diener, die ihr Leichengefolge bilden sollen Str. 45–50. Dieß und der Schluß des Liedes von Str. 62 an mag wie gesagt aus dem alten kürzern Liede übrig sein. Zweifelhaft bleibt die Echtheit der Weißagung Str. 51–61, wenigstens ist die Erwähnung Oddruns St. 56, die schwerlich alter Sage angehört, bedenklich; die Ankündigung von Gudruns dritter Vermählung giebt uns weniger Anstoß, da wir die beiden Lieder, die diesen Theil der Sage behandeln, für älter halten als man anzunehmen pflegt. So dürfen wir dem Urtheile W. Grimms beipflichten, daß Brynhilds letzte Rede, die Anordnung ihrer und Sigurds Leichenfeierlichkeit, und die Prophezeiung, womit sie endigt, einen vollkommen tragischen Eindruck hinterlaßen.

28. Brynhildens Todesfahrt.

Schönheit und Echtheit dieses Liedes möchten wir nicht in Zweifel ziehen. Die Ähnlichkeit mit Baldurs Bestattung D. 49 ist nicht so in die Augen fallend, daß es seinem Ansehen schaden könnte, wenn auch die Göttersage hier auf ein Heldenlied eingewirkt hätte; der Widerspruch aber mit dem vorigen Liede, wonach nur Ein Scheiterhaufen gemacht und Brynhild an Sigurds Seite verbrannt wurde, ist unbedeutend und trifft nur die Einleitung. Zuletzt fragte es sich auch noch ob selbst die echten Theile des vorhergehenden das Alter des gegenwärtigen Liedes erreichen. Die acht Nächte, welche Brynhild nach Str. 12 neben Sigurd gelegen hat, stimmen allerdings weder mit Gripisspa 43, noch mit Wölsungas. c. 26, welche nur drei Nächte annehmen; aber was ist mit so jungen Zeugnissen gegen das eingeständlich ältere Lied auszurichten? Das Einzige, was Verdacht erregen könnte, ist die Erwähnung des Pflegers Str. 11, den man, vielleicht nicht mit Grund, auf Heimir zu beziehen gewohnt ist. Aber darüber werden wir uns unten erklären.

Ein großer Vorzug unseres Liedes ist, daß es wichtige, sonst verdunkelte und entstellte Theile der Sage allein bewahrt hat. Dahin rechnen wir zuerst den in Str. 10 ausgesprochenen, in Sigurdrifas Lied fehlenden oder doch nur in der Einleitung angedeuteten Satz, daß Odhin um die Schildburg, in welcher Brynhild schlief, ein Feuer geschlagen hatte, durch welches nur Sigurd reiten konnte, als er das Gold in Fafnirs Bette brachte. Deutlich geht dieß, wie die Vergleichung mit Fafnismal 42–44 nicht zweifeln läßt, auf Sigurds Ritt durch das Feuer vor Brynhilds Erweckung. Noch werthvoller würde aber dieß Zeugniss sein, wenn es nicht durch Str. 12 wieder verdunkelt würde, in welcher offenbar von einem viel spätern Ereigniss, nämlich Sigurds Beilager mit Brynhild in Gunnars Gestalt die Rede ist. Der Dichter, da er die Sage als bekannt voraussetzen konnte, glaubte wohl Verwirrung nicht fürchten zu müßen indem er zwei so entlegene Begebenheiten in aufeinander folgenden Strophen berührte. Oder weiß die Sage, welcher der Dichter folgt, nur von einem einmaligen Ritt Sigurds? Auf die zweite Begebenheit kam es ihm wesentlich an, da auf der Reinheit des Beilagers mit Sigurd Brynhilds Vertheidigung gegen die Beschuldigungen des Riesenweibes, das ihr den Eingang zur Unterwelt wehren will, mit beruhte. Faßen wir diese Beschuldigungen näher ins Auge, so wird uns der Zusammenhang des Gedichts deutlich werden. Der ersten Beschuldigung (Str. 1), sie begehre den Gatten einer Andern, womit die Äußerung Str. 4 zusammenhängt, daß sie Giukis Haus gestürzt, ihn seiner Erben beraubt habe, setzt Brynhild in der folgenden Str. nur kurz entgegen, Giukis Söhne hätten sie ihrer Liebe beraubt und der Eide, die ihr Sigurd geschworen, verlustig gemacht, was auf den Vergeßenheitstrank geht, den Grimhild, der Giukungen Mutter, dem Sigurd gemischt hatte. Die Beschuldigung selbst sucht sie in einer längern Darstellung ihrer Schicksale zwar nicht zu läugnen, aber doch zu entkräften. Erst am Schluß derselben kommt sie Str. 12 auf die Begebenheit zu sprechen, welche ihre Rechtfertigung enthält.

Eine zweite Anklage, daß sie als Walküre Menschenblut vergoßen habe, fertigt sie Str. 3 mit wenigen Worten ab. Daß sie nicht freiwillig, sondern gezwungen den Walkürenstand ergriffen habe, setzt sie ihr keineswegs, wie ich früher annahm, entgegen. Doch erfahren wir in Bezug hierauf Etwas ganz Neues, das den bisherigen Erklärern der Edda entgangen ist, da schon frühe Str. 5, wie eine sehr abweichende, wahrscheinlich durch Conjectur entstandene, Lesart in der Nornagestsage C. 8 beweist, sich dem Verständniss entzog. Der Grund liegt wieder darin, daß der Dichter in seiner Zeit die Sage als bekannt voraussetzen durfte: er sagt darum nicht, wie der hochherzige (hugfullr) König genannt war, welcher Brynhilden und ihren acht Schwestern die Kleider unter die Eiche tragen ließ, worauf die zwölfjährige Brynhild dem jungen Fürsten (ungom gram) den Eid schwören muste. Aber die Vergleichung der folgenden Strophe lehrt, daß beidemal der junge Bruder Adas gemeint ist, der, wie wir aus Sigurdrifaslied wißen, Agnar hieß. Unsere Kenntniss der Sage erweitert sich hiedurch um ein wichtiges Stück. Wie Wölundur und seine Brüder die drei Schwestern (Str. 2. 8) in ihre Gewalt brachten, indem sie ihre Schwanenhemden wegnahmen, so ließ König Agnar Brynhilden und ihren Schwestern die Fluggewande unter die Eiche tragen, wodurch die zwölfjährige Brynhild gezwungen wurde, ihm den Eid zu leisten und als Walküre für ihn Kriegsdienste zu thun. Die acht Gespielinnen Brynhildens müßen so wenig ihre leiblichen Schwestern gewesen sein als die drei Schwanenmädchen des Wölundurliedes alle Schwestern waren, obgleich sie so genannt werden. Übrigens scheint hier ein Unterschied zu beachten: im Wölundurliede sollten die Mädchen, die früher das Kriegsgewerbe getrieben, als die Brüder sie gefangen nahmen, aufhören Walküren zu sein und Hausfrauen werden. Hier verhält es sich anders: auch die acht Schwestern waren schon früher Walküren gewesen, da sie Flug- oder Schwanenhemden beseßen hatten; aber sie sollten nun dem Agnar Kriegsdienste leisten, zu seinen Gunsten die Geschicke der Schlacht zu entscheiden geloben. Durch diesen Zwang, den ihr Agnar anthut, zieht sich Brynhild Odhins Zorn zu, der sie mit dem Schlafdorn sticht und in den Schlummer senkt, aus dem sie nur Sigurd erwecken konnte. So wird ihre Verlobung mit Sigurd herbeigeführt, die durch den Verrath der Söhne Giukis rückgängig wurde, da diese sie eidbrüchig, ihrer Liebe verlustig machten. Wenn Str. 7 sagt, man habe sie seitdem in Hlindalir Hild unterm Helme, d. h. da Hilde eine nordische Kriegsgöttin ist, Walküre geheißen, so liegt auf Hlindalir der Ton: es wird das Reich König Agnars sein, der vermuthlich auch Str. 11 unter ihrem Hüter oder Pfleger gemeint war. Später bezog man freilich Hlindalir auf Heimir, wie es D. 62 geschieht, wozu gerade unser Lied Veranlaßung gegeben haben mag, denn als sich die schon bei Gripisspa als problematisch bezeichnete Sage von Sigurds Zusammentreffen mit Brynhild bei Heimir bildete, der wie in Wölsungas. c. 32 ihr Pfleger heißt, mochte man ihm durch Verwechselung mit Agnar Hlindalir zutheilen. Alle Versuche, diesen Heimir und Sigurds zweite Verlobung mit Brynhild als ursprünglich zu halten, scheinen mir verfehlt: sie können sich nur auf Interpolationen berufen, die mit der Aslaugsage gleiche politische Zwecke gehabt haben mögen.

In Agnars Dienst also fällte sie Hialmgunnarn in der Schlacht, welchem Odhin, wie es in Sigurdrifaslied heißt, Sieg verheißen hatte. Darüber ward Odhin zornig und stach sie mit dem Schlafdorn. Sie sollte, gebot er, nicht länger Walküre sein, sondern einem Manne vermählt werden. Sie aber gelobte, sich keinem zu vermählen, der sich fürchten könne. Dem gemäß ward bestimmt, daß nur der ihren Schlaf solle brechen können, der wie unsere Str. 9 sagt, immer furchtlos erfunden würde. Darauf umschloß sie Odhin mit Schilden und umgab ihre Burg mit Feuer, offenbar, weil hierin die Bürgschaft lag, daß sie von Keinem erweckt würde, bei dem die von ihr selbst gestellte Bedingung nicht zuträfe. Die Burg ist der Scheiterhaufen, wie wir aus Sig. Kw. III, 62 ersehen; diese Bedeutung des Worts lebt in Deutschland noch heute fort. Auch ein Saal wird die Burg genannt (Helr. 10), oder ein Gezelt (Sig. Kw. III, 63) oder eine Schildburg (Sigrdrifum. Einl.), weil aus zusammengefügten Schilden gleichsam ein Zelt gebildet wurde, wie es auch hier in der Einleitung heißt, Brynhilds Leichenwagen sei mit Prachtgeweben umzeltet gewesen. „Mit Schilden ist gezeltet auf euern Schiffen“ heißt es im ersten der drei Helgilieder Str. 12, als Atli in der ersten Hälfte der Nacht die Warte hatte, und Helgi noch schlief, den er erst Str. 24 aufweckt, und Str. 26 des andern wirft der Steurer die Schiffszelte nieder um die Helden zu erwecken, worauf es in der folgenden Str. heißt: Schild scholl an Schild. Wir sehen daraus, daß es Sitte war, die Schilde in der Nacht so zusammenzufügen, daß sie eine Burg um die Schlafenden bildeten. So soll auch nach dem dritten Sigurdsliede Str. 63 die Burg, worin Brynhild mit Sigurd verbrannt sein will, mit Zelten und Schilden umzogen werden. Eine solche Schildburg umschloß also nach unserer Str. 9 auch die schlafende Brynhild, und zwar so dicht, daß die Ränder sie berührten; ihr Saal aber ward, eben diese Schildburg, mit wallendem Feuer (Wafurlogi) umgeben. Wenn die Einleitung zu Sigurdrifaslied angiebt, aus der Schildburg habe oben heraus ein Banner gestanden, so sehen wir ein Gleiches bei Skeaf im Eingang des Beowulf beobachtet. Auch Er liegt auf dem Todesbette. Als zuletzt Beowulf bestattet wird, finden wir auch seinen Scheiterhaufen Burg genannt und mit Schilden und andern Waffen umgeben. Vergl. über Burg Handbuch der Mythologie §. 148 und Meine Übersetzung des Beowulf S. 202.

Nach der Einleitung, welche die Nornagestsage unserm Liede giebt, fiele dessen Zeitpunkt vor die Verbrennung. Als Brynhild nach dem Scheiterhaufen gefahren wurde, kam sie auf diesem Helwege an einigen Felsklippen vorbei, in welchen ein Riesenweib wohnte. Dieses hielt einen langen Baumast in der Hand und sprach: „Mit diesem will ich deinen Scheiterhaufen vermehren, Brynhild! Und beßer wärst du lebendig verbrannt für deine Unthaten ehe du Sigurd den Fafnirstödter, den berühmten Helden, ermorden ließest.“