Die Edda Anmerkungen (Simrock 1876)

18. Das Lied von Helgi dem Sohne Hiörwards.

Bei Rask heißt dieß Lied Helgaquida Hatingaskatha, weil die Bemerkung am Schluß des zweiten Liedes von Helgi dem Hundingstödter daß dieser als Helgi Haddingjaskathi wiedergeboren sei, in die Überschriften der Lieder Verwirrung gebracht hatte. Jener Haddingische Helgi war eine zweite Wiedergeburt des Helden unseres Liedes, der zuerst als Helgi der Hundingstödter wiedergeboren ward, mithin kann der Beinamen Haddingjaskathi dem ersten Helgi nicht zukommen. Die Kara-Lieder, welche jene zweite Wiedergeburt behandelten, sind verloren gegangen.

Von Helgi, dem Sohne Hiörwards, weiß die Wölsungasage nichts; nur den Inhalt der beiden Lieder von Helgi dem Hundingstödter hat sie aufgenommen. Den Inhalt unseres Liedes berichtet auch keine andere Quelle, er scheint eine nordische Zuthat, welche die Aneignung der beiden andern Helgilieder, deren deutscher Ursprung wahrscheinlich ist, vermitteln sollte. Die Verbindung kann nicht loser sein: sie beruht nur darauf, daß dieser Helgi, der Sohn Hiörwards, als Sigmunds Sohn Helgi wiedergeboren sein soll, wie denn noch eine neue Wiedergeburt in jenen verlorenen Karaliedern angenommen ward, die wohl auch hinzugedichtet wurden, als die Lieder von Helgi dem Hundingstödter den wohlverdienten allgemeinen Anklang fanden. Bei unserm Liede mögen echte Sagen benutzt worden sein, es hat eine durchaus altertümlich nordische Färbung, auch soll sein poetisches Verdienst nicht herabgesetzt werden; wir zweifeln nur ob es sich gegen die andern Helgilieder, denen es doch jedenfalls an Kraft nachsteht, völlig selbständig verhalte. Einige Namen scheinen aus diesen entliehen, wie Sigarsholm, Sigarswöllr, Warinsey und Frekastein, während andere wie Glasislundr ursprünglich der Göttersage angehören. Frekastein ist vielleicht wie der Aarstein im folgenden Liede nur epischer Ausdruck für Schlachtfeld überhaupt, da Freki einer der Wölfe Odhins heißt. Jedenfalls wird ein selbständiger wirklicher Schauplatz nicht in ihm nachzuweisen sein; man vgl. jedoch Joseph Haupt Untersuchungen zur deutschen Sage S. 87 ff. Das Verhältniss der Walküre Swawa zu Helgi scheint dem Sigruns zu Helgi in den beiden andern Liedern nachgebildet: die behauptete Wiedergeburt Helgis soll die Nachahmung beschönigen. Der Wortwechsel Atlis mit Hrimgerden, welchen Helgi fortführt, gleicht dem Sinfiötlis mit Gudmund in den beiden andern Liedern; während der Schluß dieser Episode, Hrimgerdens Verwandlung in Stein beim Anbruch des Tages, der Göttersage entliehen ist, vgl. Alwissmal. Dennoch bleibt unserm Liede viel Eigentümliches. So in dem ersten der vier Theile, in welche wir es der Übersicht wegen zerlegt haben, der Vogel, der sich Altar und goldgehörnte Kühe bedingt, wenn er dem König den Besitz Sigurlinns verschaffe. Wir erfahren nicht, welcher Gott sich so Hiörwards Verehrung erkauft. Ein dunkler böser Geist muß es nicht nothwendig sein, wenn auch jetzt in deutschen Märchen, wie Grimm erinnert, der Teufel als Vogel erscheint, um sich für Gewährung des Wunsches das Kind im Mutterleibe zu bedingen. Etwas Ähnliches fürchtet aber allerdings Atli, indem er Str. 3 Hiörwards Frauen und Kinder vorsichtig von der Wahl ausnimmt. Zwischen diesem Vogel und dem andern, in den sich am Schluß desselben Abschnitts Sigurlinns Pfleger verwandelt hatte, ist allerdings Zusammenhang. Es war Franmar Jarl, der sich schon früher wie jetzt in Adlergestalt gekleidet und das Opfer bedingt hatte. Riesen pflegen Adlergestalt anzunehmen, weil sie Sturmwinde bedeuten. Nicht bloß Hräswelg, ein Riese nach Wafthrudn. 37, sitzt an des Himmels Ende, und facht den Wind über alle Völker, auch D. 56 sitzt der Riese Thiassi in Adlersgestalt auf der Eiche, und wehrt dem Feuer, das die drei Asen entzündet haben, durch das Fachen seiner Flügel, und der Sud kann nicht zum Sieden kommen. Wenn sie aber gestatten wollen, daß er sich von dem Ochsen sättige, den sie zu sieden gedenken, so will er den Sud sieden laßen. Ohne Zweifel ist es auch hier ein Opfer, das sich der Riese bedingt. Die auffallendste Eigentümlichkeit unseres Liedes enthält aber der vierte Abschnitt in dem Verhältniss Hedins zu Helgi, der Str. 33 seinen Tod vermuthet, weil seine Folgegeister Hedin ausgesucht hatten. Daß es den Tod bedeutet, wenn die Schutzgeister Abschied nehmen, sehen wir auch aus Atlimal 26; daß sie aber auch einen Andern aufsuchen können nachdem sie den Einen verlaßen haben, gewahren wir nur in unserm Liede. Die Fylgien, auch Hamingien genannt, sind unsern Schutzengeln ähnlich. Im Kuhländchen kommen sie nach Meiners noch unter ihrem alten Namen vor.

19. 20. Die beiden Lieder von Helgi dem Hundingstödter.

Mit diesen Liedern berühren wir zuerst die deutsche Siegfriedssage, deren älteste Gestalt uns im Norden erhalten ist. Als eine nordische Zuthat können wir die Lieder von Helgi dem Hundingstödter nicht durchaus betrachten, denn obgleich uns von Helgi keine Spur auf deutschem Boden begegnet, so ist doch Sinfiötli, den wir in seine Sage verflochten sehen, als Sintarfizilo in Deutschland nachgewiesen (Zeitschrift I, 2 ff.) und auch das Beowulfslied kennt ihn als Fitela. „Es ist eine jetzt schon unbedenkliche Annahme,“ sagt J. Grimm a. a. O., „daß in früher Zeit manche Sagen aus Deutschland übergeführt wurden, die, unter uns ganz verschollen, dort erhalten blieben. Die längere Dauer, und was damit genau zusammenhängt, die größere Fülle der nordischen Überlieferung steht dem Verschwinden wie der Armut unserer heimatlichen entgegen; es macht Freude, und bewährt den engen Bund beider Stämme, nachzuweisen, daß der Norden von unsern Vorfahren empfing was er uns rettete.“ Doch sucht Uhland VIII, 127 nachzuweisen, daß der Hauptinhalt der Helgilieder der Wölsungensage ursprünglich nicht angehört habe. Ähnlich sagt Grimm a. a. O.: „Wenn gleich Saxo II, 25 ff. Helgi als Hundingstödter, vielleicht aus unsern Liedern, kennt, so gehen doch dieselben auf Helgis Kampf mit Hunding wenig ein,“ und der Name Hodbroddstödter, den ihm Saxo daneben giebt, scheint ihm nach den Liedern gemäßer. Angelsachsen und Dänen kannten aber doch Helgi und Fitela, und die Lenorensage, die uns bei Helgi zuerst begegnet, ist Deutschland nicht fremd. Ungewiss bleibt also nur ob die deutsche Siegfriedssage in Bezug auf Helgi aus diesen Liedern ergänzt werden kann.

Das Ansehen, das die beiden Lieder im Norden genoßen, spiegelt sich darin, daß man ihre Helden, Helgi und Sigrun, noch zweimal geboren werden ließ, einmal früher und einmal später, um ihnen andere, jenen nachgebildete Lieder an die Seite zu stellen, damit ein Abglanz ihres Ruhms auf dieses Seitenstück zurückstrale, was mit dem Liede, das wir soeben betrachtet haben, wirklich geglückt ist. Einer andern Nachahmung eines unserer Lieder werden wir in Gudruns Aufreizung begegnen. Dieser Ruhm war kein unverdienter: mit Beschränkung auf die echten Helgilieder möchten wir C. F. Köppens Urtheile über ihren Werth beitreten: „An epischer, wahrhaft homerischer Kraft und Fülle stehen diese Lieder allen andern Dichtungen der Edda voran. Andererseits aber weht in ihnen, namentlich in der Liebe zwischen Helgi und Sigrun, eine so unendliche Milde und Tiefe des innigsten Gemüthslebens, daß man nicht weiß, von welcher Seite man diese hohen Gesänge am lautesten preisen soll.“

Die Wölsungasaga hat den Inhalt unseres ersten Liedes aufgenommen, das zweite aber scheint sie nicht zu kennen. Auch von jenem giebt sie nur einen Auszug, während sie von Sinfiötli und seinem Vater Sigmund sehr ausführlich erzählt, nicht ohne Anführung einer Liederstelle, woraus wir schließen müßen, daß auch über diese Theile der Siegfriedssage Lieder vorhanden wären, deren Verlust zu beklagen ist.

Aus der Vielgestaltigkeit des Volksgesangs erklärt es sich, daß wir von der Helgisage zwei verschiedene und doch in einigen Theilen zusammenfallende Lieder besitzen. Sie erklären und ergänzen sich wechselseitig und der Leser wird gut thun, sie zu vergleichen. Am besten liest man nach dem ersten Abschnitte des ersten Liedes den ersten Abschnitt des zweiten. Was dann im zweiten Abschnitte des zweiten folgt, hat im ersten Liede keine Parallele, ja diese erste Begegnung Sigruns und Helgis scheint beiden Liedern zu widersprechen, denn nach St. 13 des zweiten sollte man nicht glauben, daß sie sich schon früher gesehen hätten ehe Sigrun Helgis Hülfe gegen Hödbroddr in Anspruch nahm (1. Lied Str. 16 bis 20 vgl. mit 2. Lied Str. 12–16). Wenn sich hier das zweite Lied auf das alte Wölsungenlied wie später auf das Helgilied beruft, so könnte damit nur unser erstes Helgilied (Str. 18 und 32) gemeint sein; Andere halten es für eine beiden Liedern gemeinschaftliche Quelle. Auch der Meinung Mones a. a. O. S. 108, daß das zweite Lied älter sei als das erste, würde mir jene Berufung entgegen zu stehen scheinen, wenn sich mehr darin ausspräche als die Meinung des Sammlers, welche die Lücken der Lieder durch seine Zwischenreden verband. Von Helgis Kampf mit Hunding ist in beiden Liedern nichts übrig als die Meldung, daß letzterer fiel (1, 10 und 2, 8); aber auch von der Schlacht bei Logafiöll, welche Helgi gegen Hundings Söhne gewann, erfahren wir 1, 13. 14 nur den Erfolg: den Fall der Hundingssöhne, deren Aufzählung Str. 14 durch den Aarstein seltsamlich unterbrochen wird, unter welchem Helgi ausruht. Unter dem Aarstein sitzen ist auch eine den Angelsachsen geläufige epische Formel, wie Grimm Andr. XXVII schon bemerkt hat; nur dürfte sie mehr dem kampfmüden als dem kampflustigen Helden gelten. Das andere Lied wiederholt dieß offenbar aus dem ersten in der Einleitung zum dritten Abschnitt. Hierauf folgt nun in beiden die schon besprochene Bitte Sigruns um Hülfe gegen Hödbroddr. Der dabei 1, 20 von Helgi genannte Mörder Isungs muß dem Zusammenhange nach Hödbroddr sein; über Isung erhalten wir aber keine Auskunft, doch scheint 1, 54 Z. 4 unter dem „Schrecklichen“ derselbe Isung gemeint. Im ersten Liede läßt nun Helgi Str. 21 seine Mannen entbieten, Str. 22 versammeln sie sich, die Schiffe kommen Str. 23 gesegelt, Hiörleif, der ein Königssohn heißt (in der Wölsungasage ein Steuermann), stattet Str. 24 und 25 über den Erfolg seiner Sendung und die gewonnenen Streitkräfte Bericht ab; bei Tagesanbruch Str. 26 fährt die Flotte ab, doch ein Ungewitter erhebt sich Str. 29, das Sigrun Str. 30 zu stillen und die Flotte am Abend bei Unawagir zu bergen weiß. Ähnliches hatte Swawa nach dem vorigen Liede Str. 26. 27 gegen Hrimgerden, wie hier Sigrun gegen Ran, vollbracht. Von allem diesem ist in dem andern Liede nur in dem prosaischen Zwischensatz nach Str. 16 die Rede, ohne Berufung auf das erste Lied, das in der That nur von Sigrun, nicht neun Walküren, wie hier gesagt ist, meldet. Eine neue Spur, daß das erste der drei Helgilieder, das von Swawa, unsern Liedern nachgebildet ist: nach Str. 27 in jenem waren es drei Reihen oder genauer dreimal neun Mädchen, welchen Swawa voraus ritt. Was jetzt in beiden Liedern folgt, Sinfiötlis Wortstreit mit Gudmund, ist im ersten weit beßer ausgeführt als im zweiten, das sich ausdrücklich dabei auf jenes beruft, und dann doch seine schwächere Recension, wenn es nicht etwa dort vergeßene Strophen sind, nachbringt. Jedenfalls dürfte Str. 20 dem Prachtstück erhabenen Heldenzanks, das wir im ersten finden, aus dem zweiten beigefügt zu werden verdienen. Was Gudmund dem Sinfiötli vorwirft, daß er seine Brüder ermordet, und im Walde, selbst ein Wolf, mit Wölfen geschwelgt habe, ist in seiner Sage (Wöls. S. Cap. 12. 13) wirklich begründet, nicht aber so viel wir wißen die übrigen Vorwürfe, noch die, welche Sinfiötli ihnen entgegensetzt. Nachdem Helgi den Zank beigelegt hat, reiten Granmars Söhne gen Solheim, ihrem Bruder Hödbroddr den erspähten Feind und die bevorstehende Schlacht anzukündigen Str. 46 bis 49, worauf dieser sich gleichfalls rüstet und Häuptlinge und Helfer, worunter Högni, Sigruns Vater, entbietet, Str. 50. 51. Nun bringt Str. 52 eine kurze Schilderung der Schlacht bei Frekastein, in welcher Sigrun den Helgi (Str. 53) vor sausenden Speren in Schutz nimmt und ihm in den Schlußstrophen des Liedes zum Siege und ihrer Erwerbung Glück wünscht. Alles dieß wird in dem andern Liede in knapper Prosa erwähnt, und hinzugefügt, daß alle Söhne Granmars und deren Häuptlinge gefallen seien und nur Dag, Högnis Sohn, als Sigruns Bruder, Frieden erhalten und den Wölsungen Eide geleistet habe. Was in demselben dritten Abschnitte noch folgt, sind weitere Ausführungen, die wir entbehren möchten, wenn nicht die zarte Schonung, womit Helgi der Sigrun den Fall ihrer Verwandten berichtet, wohlthuend wäre. Merkwürdig ist aber in der Schlußstrophe (27) die Anspielung auf die Sage von Hilde D. 65, welche um so mehr am Platze ist, als diese Hilde wie Sigrun eine Tochter Högnis war. Bekanntlich liegt diese in ihrer weitern Fortbildung unserm deutschen Gudrunliede zu Grunde, das aber davon nichts mehr weiß, daß Hilde, wie hier angedeutet ist, die in der Schlacht gefallenen Kämpfer in der Nacht wiedererweckt.

Der vierte Abschnitt des zweiten Liedes steht wieder in diesem allein und bildet den Hauptvorzug dieses im dritten Abschnitt so sehr gegen das erste zurückstehenden Liedes. Vortrefflich ist Sigruns Verwünschung ihres Bruders Dag, der ihrem Gatten die Treue gebrochen hat; rührend schön und von spätern Liedern, die hier ihr Vorbild suchten, unerreicht ihr sehnsüchtiges Lob ihres Helden, den wirklich ihr Wunsch Str. 34 herniederzieht, wo dann die älteste nachweisbare Behandlung der Lenorensage den Schluß dieses und die Krone beider Lieder bildet.

Zu S. 175, Str. 39–50. Von Helgi leitet Uhland VIII, 172 ff. den Namen Hellequin für den wilden Jäger ab, wonach auch die Sage von Richard Ohnefurcht und Thedel von Walmoden hier ihren Ursprung nahm. Bei Thedel läßt sich ein Zusammenhang mit Dietrich von Bern und seinem schwarzen Rosse nachweisen.

Zu S. 158, Str. 3, 4. Der Faden, den Neris Schwester nordwärts wirft, bedeutet Helgis frühen Tod. Von dem Zusammenhang dieser von den Nornen ausgeworfenen Fäden mit den Seidenfäden, welche Gerichte und Rosengärten, Waldheiligtümer, hegten, sowie mit den Ketten, welche sich noch jetzt in Tirol um die Kirchen gezogen finden, wie schon den Tempel von Upsala eine goldene Kette umgab, endlich mit dem heiligen Wald der Semnonen, den man nur gefeßelt betreten durfte, und der wohl auch durch einen Seidenfaden gehegt war, wie das Volk selbst davon den Namen hatte, ein andermal. Vgl. Handb. 493 §. 135 und Liebrecht G. G. A. 1865. 12. S. 454, Philologus XIX, 582.

Zu S. 159, Str. 7. Zu vgl. ist zunächst S. 228:

So war mein Sigurd bei Giukis Söhnen,
Wie hoch aus Halmen edler Lauch sich hebt.

Aber hier hat der Text geirlaukr, welches die Copp. mit allium capitatum übersetzt. An unserer Stelle scheint dagegen Sieglauch Allium victoriale gemeint oder Aller Manns Harnisch, welches die Kriegsleute um den Hals trugen, weil es sieghaft machte. Vgl. Perger Deutsche Pflanzensagen S. 85. Nach Uhland VIII, 125 wäre darunter nichts anders als das Schwert verstanden, an das allerdings die Gestalt der Pflanze erinnert. Aber darum konnte auch das Geschenk des Lauchs Sieg verheißen.