Die Edda Anmerkungen (Simrock 1876)

12. Skirnisför.

Den ersten, kosmogonischen und theogonischen Liedern ließen wir früher Skirnisför folgen, und allerdings gab es Gründe für eine solche Stellung. Daß sein Inhalt in mehrern der folgenden Lieder schon als bekannt vorausgesetzt ward, will ich nicht geltend machen, da es seinerseits auch wieder auf folgende Lieder anspielt; aber in der Reihe der Begebenheiten, welche den Untergang der Götter herbeiführen, nimmt die hier erzählte eine der ersten Stellen ein. Auch steht Freyr, obgleich kein Sohn Odhins, und überhaupt nach unsern Quellen nicht vom Geschlecht der Asen, sondern nur durch Vertrag mit den Wanen, welchen er eigentlich angehört, in ihren Kreiß aufgenommen, nach abweichenden Genealogieen, über welche Gr. Myth. 197–200 Auskunft giebt, mit Odhin in Verbindung. Ja was wir hier von Freyr berichtet sehen, kann ursprünglich von Odhin selbst geglaubt worden sein, da Skaldsk. 19 Frigg als Gerdas Nebenbuhlerin bezeichnet wird, was sich nur erklärt, wenn wir Odhin an Freyrs Stelle für Gerdas Befreier und Gemahl nehmen. Gleichwohl haben wir jetzt den von Odhin sprechenden Liedern die von Thor folgen laßen, worauf dann in Skirnisför und seiner Sippe die auf Freyr bezüglichen sich anschließen.

Für den Mythus, der unserm Liede zu Grunde liegt, giebt es außer ihm und D. 37 keine Quelle. Beide ergänzen sich wechselseitig. Das wichtigste was hier fehlt und dort hinzugefügt wird, ist Freyrs Kampf mit Beli, von dem unser Lied ohne ihn zu nennen, doch eine Spur zeigt. Offenbar ist Gerdas Bruder, den Freyr Str. 18 getödtet haben soll, jener auch in Wölusp. 54 erwähnte Beli; nur das bleibt ungewiss ob das Lied oder die Erzählung Recht hat, wenn jenes den Kampf schon als geschehen voraussetzt, diese ihn erst nach der in Skirnisför erzählten Begebenheit sich ereignen läßt.

Die natürliche Deutung, welche von unserm Mythus Finn Magnusen gab, nach welcher Freyr der Sonnengott, Gerda aber das Nordlicht sein soll, verfiel in der nähern Ausdeutung der einzelnen Züge, die dafür geltend gemacht wurden, auf Abgeschmacktheiten; was dafür angeführt werden kann, wollen wir nicht verschweigen.

Für Freyrs Beziehung auf die Sonne, wie der Freyja auf den Mond, giebt es in unsern Quellen kein Zeugniss, und wenn er Regen und Sonnenschein verleiht, so ist er damit noch nicht als Sonnengott bezeichnet. Indes läßt sein Sinnbild, der goldborstige Eber, kaum eine andere Deutung zu, und sein Verhältniss zu den Alfen, welches sich daraus ergiebt, daß er Alfheim besitzt (vgl. Gr.-M. 5 mit der Anm.) scheint sie zu bestätigen, so wie unsere Str. 4, wo die Alfenbestralerin die Sonne ist. Endlich mag unser Mythus, wenn Freyr sich auf Hlidskialf setzt, wo nur Odhin sitzen darf, dem griechischen von Phaeton zu vergleichen sein.

Bei Gerda, von deren weißen Armen Luft und Waßer widerstralen, an den Nordschein zu denken, war man veranlaßt, da es ausdrücklich heißt, Freyr habe sie gesehen als er nach Norden blickte.

Wenn man aber annimmt, es solle in unserm Liede ein Liebesbund zwischen Sonne und Nordschein eingegangen werden, so würde eine solche Dichtung nicht aller Wahrheit ermangeln, da beide an dem Lichte ein Gemeinschaftliches haben. Auch ließen sich die ihrer Verbindung nach Str. 7. 20 entgegenstehenden Hindernisse wohl darin nachweisen, daß es der Ordnung der Natur widerstreitet, wenn Sonne und Nordschein zugleich am Himmel sichtbar wären. Aber die Unzulänglichkeit der ganzen Anlegung ergiebt sich auch sofort daraus, daß diese Hindernisse ihrer Natur nach nicht gehoben werden können, mithin die Verbindung der Liebenden unmöglich und der Schluß des Gedichts unerklärt bliebe.

Überdieß geht weder Freyrs noch Gerdas Wesen in jener Deutung vollständig auf. Freyr müßen wir, ohne seinen Bezug auf die Sonne ganz aufzugeben, doch allgemeiner, als Gott der Fruchtbarkeit, auffaßen, wenn wir die eilf Äpfel Str. 19 und den Ring Draupnir, von dem jede neunte Nacht acht eben so schwere träufeln, Str. 21 (D. 49. 61) richtig verstehen wollen. Was nun Gerda belangt, so erscheint sie uns zuerst nur als eine Riesentochter. Ihr Vater ist Gymir, D. 37 vgl. Str. 12. 22. 24, ein Name, den nach Ögisdrecka auch der Meergott Ögir führt. Ihr Bruder Beli kann der Brüllende heißen und auf den Sturmwind gedeutet werden. Wenn ihn Freyr erlegt, so passt dieß auf den milden Gott der Fruchtbarkeit und Wärme, bei dessen Nahen die Winterstürme sich legen. In dieser Verwandtschaft Gerdas, durch welche sie den ungebändigten Naturkräften angehört, die zu bekämpfen die Götter und ihr späterer Niederschlag, die Helden, berufen sind, liegt das Hinderniss ihrer Verbindung mit Freyr. Gerdas Schönheit widerspricht solcher Abkunft nicht; aber nur gezwungen wird sie im Kreise ihrer Verwandten zurückgehalten. Dieser Zwang ist Str. 9. 17 in der flackernden Flamme ausgedrückt, die ihren Saal umschließt, so wie weiterhin in dem Zaun, der von wüthenden Hunden bewacht wird. Jene Waberlohe, die in der Sigurdssage zweimal vorkommt, wie auch in dem nahe verwandten Fiölswinsm. 2. 5, bedeutet nach Grimms Abhandlung über das Verbrennen der Leichen die Glut des Scheiterhaufens, der mit Dornen unterflochten ward, weshalb in dem Märchen von Dornröschen eine undurchdringliche Dornhecke die Waberlohe vertritt. Dieß und Str. 12 und 27 laßen vermuthen, daß es die Unterwelt ist, in die sie gebannt erscheint, wodurch ihr Mythus mit dem von Idun, der in dem folgenden Liede ausgeführt ist, in Beziehung tritt, zumal an diese schon die goldenen Äpfel Str. 19 erinnern. Gerda erscheint hienach als die im Winter unter Schnee und Eis befangene Erde, die wir aus D. 10 als eine Riesentochter kennen. (Andere nehmen Gerda wie Thors Tochter Thrudr in Alwismal für das Saatkorn.) Im Winter in der Gewalt dämonischer Kräfte zurückgehalten, wird sie von der rückkehrenden Sonnenglut befreit. Freyrs Diener Skirnir (von at skirna clarescere), der Heiterer, erhält den Auftrag, sie aus jenem Bann zu erlösen, und dem belebenden Einfluß des Lichts und der Sonnenwärme zurückzugeben. Ihre Verbindung mit Freyr geschieht dann in dem Haine Barri d. i. dem grünenden, also im Frühjahr, wenn Freyr längst die brüllenden Sturmwinde bezwungen hat.

Was bedeutet es aber, wenn Freyr um in Gerdas Besitz zu gelangen, sein Schwert hingiebt, das er beim letzten Kampfe vermissen wird? Hier sehen wir uns doch genöthigt, Freyr als den Sonnengott zu faßen und sein Schwert als den Sonnenstral. Er giebt es hin, um in Gerdas Besitz zu gelangen, d. h. die Sonnenglut senkt sich in die Erde um Gerdas Erlösung aus der Haft der Frostriesen zu bewirken, die sie unter Eis und Schnee zurückhalten und von wüthenden Hunden, schnaubenden Nordstürmen bewachen laßen. Da dieß alljährlich geschieht, so kann der Mythus ursprünglich mit dem von dem letzten Weltkampf in keiner Verbindung gestanden haben: er bezog sich auf das gewöhnliche Sonnenjahr; auf das große Weltenjahr ward er erst später umgedeutet und D. 37 nahm erst aus Ögisdr. 42 dazu den Anlaß. In Skirnisför ist nirgend angedeutet, daß sich Freyr durch die Hingabe des Schwerts für den letzten Kampf untüchtig mache und Wöl. 54 weiß nichts davon, daß ihm das Schwert fehle. Überdieß wird das Schwert nicht an die Riesen hingegeben, sondern an Freyrs Diener Skirnir und diesem nur leihweise, wie auch das Ross, zur Vollführung des Auftrags. Da Skirnir Freyrs Diener bleibt (D. 34), so ist es seinem Herrn unverloren. Vgl. d. Anm. zu Str. 16. Wie das Schwert als Sonnenstral, so ist das Ross als Sonnenross zu faßen. Nach Handb. §. 66 haben diese Wunschdinge hier mythische Bedeutung, welche Weinhold Riesen 15 nur den Äpfeln zugesteht, die doch nicht wesentlich sind.

Wir haben in Obigem schon so viele Einzelnheiten unseres Liedes berühren müßen, daß für die Erklärung der 42 Str. desselben fast nichts mehr übrig bleibt.

Str. 3. Daß Freyr hier als volkwaltender Gott angeredet wird, erinnert daran, daß in den oben erwähnten Stammtafeln, welche Freyr mit Odhin verbinden, ein Folkwalt unter seinen Ahnen aufgeführt wird. Da nun auch Freyjas Götterhalle Gr.-M. 14 Volkwang heißt, was in der Anm. dazu auf die Todten bezogen wird, so wird dieß Beiwort bei Freyr einer ähnlichen Deutung unterliegen und darf auf alten Kriegsruhm dieses friedlichen Gottes nicht gedeutet werden.

16. Die Strophe zeigt deutlich, daß es in der ältern Gestalt des Liedes Freyr selbst war, der unter dem Namen Skirnir die Fahrt unternahm. Gerda ahnt, daß ihres Bruders Mörder gekommen sei; dieß war aber nach dem Obigen Freyr selbst. Mithin ist diese Strophe durch ein Versehen des Überarbeiters aus dem ältern Liede stehen geblieben. Was hieraus für die Sigurdsage gefolgert werden kann, werde ich unten geltend machen. Einstweilen verweise ich auf mein Handb. §. 30.

19. Die Deutung der 11 Äpfel auf 11 Monatssonnen ist eine von jenen gewaltsamen, die den entschiedenen Willen kund geben, in den Mythus hineinzutragen, was man darin zu finden von vornherein mit sich einig ist. Unsere Erklärung ist oben gegeben.

21. Über den Ring Draupnir giebt D. 49 hinlängliche Auskunft. Ihn auf den Thau träufelnden Mond und dessen Phasen zu beziehen ist nicht beßer als die eben verworfene Auslegung. Durch ihn berührt sich Freyr mit Baldur.

25. Über die hier beginnenden Beschwörungen vgl. Handb. §. 29 und Von Lilienkron und Müllenhoff Zur Runenkunde 22. 56, Homeyer über das Germ. Looßen 1854. S. 14.

33. Der Asenfürst ist Thor, vgl. Gr. Myth. 215. Auf junge Abfaßung des Liedes schließt Weinhold (Riesen 15) aus Ring und Schwert, welche er für ständige Theile des Mahlschatzes hält, die nach älterm Recht nicht der Braut als Geschenk, sondern dem Vater als Brautkauf hätten gegeben werden müßen. Allein das Schwert behält Skirnir für sich, und der Ring wird mit Recht der Braut gegeben; auf die Einwilligung des Vaters kommt es nicht an: ohne ihn zu fragen gelobt Gerda, sich nach neun (in der Schlußstrophe drei) Nächten im Haine Barri einzufinden. Fortgelebt hat unser Lied mehr als das nahverwandte von Fiölswinsmal in dem dänischen Swendalliede, das Gruntwick Gamle folke visar II. 239 mitgetheilt und Lüning wörtlich übersetzt hat. Vgl. Handb. d. Myth. §. 30.