Lieder zur Völuspa: Die Völuspa ist das erste der 16 Götterlieder des „Königsbuchs“ Codex Regius. Eine fiktive Seherin (Spakona) berichtet von der Entstehung und dem Ende der Welt. Dabei wird die Kenntnis nordischer Mythen vorausgesetzt.
Bild: Gullveig wird von den Asen auf Speeren über ein Feuer gehoben. Zeichnung von Lorenz Frölich (1820 – 1908), veröffentlicht 1895 in Gjellerup, Karl: The Elder Eddas Gudesange.
Vier Lieder zur Völuspa: Midgard
Zunächst wird von der Schöpfung der Welt, dem personifizierten Schicksal (den Nornen) und der Erschaffung der ersten Menschen berichtet. Darin enthalten ist ein Exkurs über die Erschaffung der Zwerge. Diesem Teil (ausgenommen die Erschaffung der Zwerge) widmet sich das erste Lied „Midgard“.
„Midgard“ habe ich nach der Melodie des Volksliedes „Nun ade, du mein lieb Heimatland“ (Komponist unbekannt, ca. 1850) geschrieben.
Midgard
Von Allvaters Wirken künde ich
Heil’ge Götter hielten Rat
Sie das mächt’ge Midgard schufen sich
Heil’ge Götter hielten Rat
Dort am Abgrund nah der heißen Glut
Als das Eis geschmolzen ward zur Flut
Schritten sie beherzt zur Tat
Als die Sonne ihre Bahn verkannt
Heil’ge Götter hielten Rat
Und der Mond nach seinem Platz verlangt
Heil’ge Götter hielten Rat
Als die Zeit nicht ihren Lauf gekannt
Und kein Stern am hohen Himmel stand
Schritten sie beherzt zur Tat
Suchend haben sie den Blick gewandt
Heil’ge Götter hielten Rat
Weil auf Midgard Menschen unbekannt
Heil’ge Götter hielten Rat
Als man Ask und Embla endlich fand
Die dort lagen in des Ufers Sand
Schritten sie beherzt zur Tat
Seele Odin gab zu Anbeginn
Heil’ge Götter hielten Rat
Hönir schenkt dem Leben seinen Sinn
Heil’ge Götter hielten Rat
Blut gab Lodur dass es fließen soll
Um der Menschen Leben wundervoll
Schritten sie beherzt zur Tat
Eine Esche weiß ich: Yggdrasil
Weise Nornen hielten Rat
Bindet Welten gibt dem Leben Ziel
Weise Nornen hielten Rat
Davon kamen Frauen, drei der Zahl
Für der Menschen Schicksal rechte Wahl
Schritten sie beherzt zur Tat
Die Vergangenheit ward Urd genannt
Weise Nornen hielten Rat
Für die Gegenwart Verdandi stand
Weise Nornen hielten Rat
Dass der Zukunft Sinn verborgen bleibt
Sich den Menschen erst am Ende zeigt
Schritten sie beherzt zur Tat
An den Wurzeln Skuld den Faden spinnt
Einig Heiden haltet Rat
Nur ein schwaches Licht von ferne glimmt
Einig Heiden haltet Rat
Dass der Zukunft Licht auf Midgard scheint
Dass am Ende alle wir vereint
Schreitet nun beherzt zur Tat
© Rewa Kasor
Vier Lieder zur Völuspa: Wanenkrieg
Dem folgt eine Beschreibung des ersten Krieges, dem sogenannten Wanenkrieg. Eine zauberkundige Frau, Gullveig, kommt zu den Asen und berichtet vom sagenhaften Reichtum der Wanen. Die Asen befällt daraufhin die Gier nach diesen Schätzen. Gullveig weigert sich jedoch, die Quelle des Reichtums zu verraten und wird deshalb verbrannt. Da sie jedoch mehrmals aus der Asche aufersteht, jagen die Asen sie davon und bezeichnen sie als „übler Leute Liebling”.
Gullveig bedeutet Gold-Trank, Gold-Rausch oder auch Gold-Stärke. Sie ist eine Göttin der germanischen Mythologie und gehört dem Geschlecht der Wanen an. Zu ihren Aufgaben gehörte das Hüten von Schätzen und die Zauberei des Seiðr. Somit verfügte sie über seherische Fähigkeiten. Gullveig gelangte zu den Asen und brachte über die Götter die Goldgier. Es besteht die Vermutung, dass es sich bei Gullveig um die Wanin Freyja handelte, die zu den Asen kam, um sie zu prüfen. Durch das Vorgehen der Asen wird der sogenannte Wanenkrieg ausgelöst.
Das Handeln der Asen ruft die Wanen auf den Plan. Sie fallen in kriegerischer Absicht über die Asen her, verlieren jedoch den Kampf. Odin, mit seinem unfehlbaren Speer Gungnir, entscheidet die Schlacht für die Asen. Dem Wanenkrieg ist das zweite, gleichnamige Lied gewidmet.
„Wanenkrieg“ habe ich nach der Melodie des Volksliedes „Nun ade, du mein lieb Heimatland“ (Komponist unbekannt, ca. 1850) geschrieben.
Wanenkrieg
Als die Gier nach Gold die Asen fand
Heil’ge Götter hielten Rat
Blickten sie herab zum Wanenland
Heil’ge Götter hielten Rat
Weil die starke Gullveig schweigsam blieb
Voll Verachtung auf die Asen sieht
Wurde dreimal sie verbrannt
Gullveig nannt‘ sie sich als Seherin
Heil’ge Götter hielten Rat
War sie doch der Wanen Späherin
Heil’ge Götter hielten Rat
Starb im Feuer, wurde neugebor’n
Hat die Kraft der Wala nicht verlor’n
Nach der Heimat ging sie hin
Vor dem hohen Rat sie sich erkühnt
Heil’ge Götter hielten Rat
Ob der Asen Frevel ungesühnt
Heil’ge Götter hielten Rat
Legten Rüstung an mit stolzer Brust
Stürmten auf das Feld voll Kampfeslust
Wie’s für Krieger sich geziemt
Mauern brachen an der Asen Ort
Heil’ge Götter hielten Rat
Pfeil auf Pfeil sich in die Schilde bohrt
Heil’ge Götter hielten Rat
Doch Allvater zückte seinen Speer
Schnell besiegt war schon der Wanen Heer
So geschah der erste Mord
© Rewa Kasor
Vier Lieder zur Völuspa: Balders Tod
Beginnend mit der Ermordung des gutherzigen Balder (auch Baldur) folgt dann eine Reihe gewaltsamer Handlungen. In dem dritten Lied, „Balders Tod”, beschränke ich mich jedoch auf dieses Ereignis. Balder gilt als der reinste und schönste der asischen Götter. Eines Tages träumt er von seinem eigenen Tod. Daraufhin geht seine Mutter Frigg zu jedem Tier und zu jeder Pflanze und fordert sie auf, einen Eid abzulegen, dass sie Balder nicht verletzen werden. Einzig ein Mistelzweig erscheint ihr zu schwach und zu klein, als dass er den Eid ablegen müsste.
Übermütig beginnen die Asen mit einem Spiel, bei dem sie Balder mit Pfeilen und Speeren beschießen. Der neidische Loki nutzt die Situation aus und reicht Balders blindem Bruder Hödur einen Mistelzweig. Als dieser damit auf Balder schießt, verwundet er ihn tödlich. Später versöhnen sich Balder und Hödur miteinander. Nach Ragnarök wird Balder mit seinem Glanz das Zeitalter einer neuen Welt einleiten.
„Balders Tod“ habe ich nach der Melodie des alten schlesischen Volksliedes „Und in dem Schneegebirge“ (Komponist unbekannt, ca. 18. Jahrhundert) geschrieben.
Balders Tod
In Balders dunklen Träumen
Er Unheil drohen sah
Der Mistel zarte Zweige
Des list’gen Lokis Neide
Der Tod kam ihm so nah
Es wollten alle Dinge
Ihm wohl gesonnen sein
Die Pflanzen und die Berge
Die Tiere und die Zwerge
Die Mistel schien zu klein
Der reinste aller Götter
Er sank im Tod dahin
Von Hödurs schnellem Bogen
Der Mistelzweig geflogen
Von Lokis List der Sinn
Der Brüder enge Bande
Die Schmach und Hader bricht
Die letzte Schlacht geschlagen
Den neuen Anfang wagen
Wir unter Balders Licht
© Rewa Kasor
Vier Lieder zur Völuspa: Ragnarök
Ab Strophe vierundvierzig berichtet die Völuspa vom Untergang der Götter und kurz auch von der Wiederauferstehung der Welt. Dem Ragnarök genannten Ereignis, auch als Götterdämmerung oder Wolfszeit bekannt, ist das vierte Lied gewidmet.
„Ragnarök“ habe ich nach der Melodie des Volksliedes „Wir lieben die Stürme“ (Komponist unbekannt, um 1900) geschrieben.
Ragnarök
Wir tragen die Schwerter, wir tragen den Bogen
Wir tragen die Äxte doch niemals den Schild
Wir sind voller Zorn in die Schlacht heut gezogen
Wir kämpfen für Freiheit in uns’rer Welt
Odin, Odin, komm und sieh deine Krieger in blutiger Schlacht
Odin, Odin, dir zu Ehren wir kämpfen in finst’rer Nacht
Die Wölfe, sie heulen, die Adler sie stürzen
Herab auf die Feinde, sie stehen uns bei
Walküren in glänzendem Stahl uns heut schützen
Gemeinsam wir stehen nun Seit an Seit
Odin, Odin, komm und sieh deine Krieger in blutiger Schlacht
Odin, Odin, dir zu Ehren wir kämpfen in finst’rer Nacht
Vom Himmel verschwindet das Funkeln der Sterne
Es sinket die Erde, die Sonne verlischt
Es brechen die Berge dort weit in der Ferne
Zu Hel fahren Helden, die Wolfszeit ist
Odin, Odin, komm und sieh deine Krieger in blutiger Schlacht
Odin, Odin, dir zu Ehren wir kämpfen in finst’rer Nacht
Die Feinde der Götter sind unsere Feinde
Wir kämpfen und fallen doch weichen wir nicht
Die letzte der Schlachten wird alle uns einen
Zu Ragnarök kämpfen ist Ehrenpflicht
Odin, Odin, komm und sieh deine Krieger in blutiger Schlacht
Odin, Odin, dir zu Ehren wir kämpfen in finst’rer Nacht
© Rewa Kasor
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Bild „Lieder zur Völuspa“: Gullveig wird auf den Speeren über das Feuer gehoben, Zeichnung von Lorenz Froelich (1820-1908). © (PD)